Uranus | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Vollschiff "Uranus"

  1. Nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung, in welcher Schiffer Niemann eingehend vernommen worden, und die für die Beweiserhebungin Betracht kommenden Schriftstücke, nämlich
    • das Schiffsjournal in seinen auf die letzte Reise bezüglichen Einträgen,
    • ein Bericht des deutschen Consuls zu Philadelphia an den Reichskanzler vom 3. Juni 1887,
    • eine amtliche Zählkarte datirt Rehoboth-Beach den 10. Mai 1887,
    • der notarielle Protest datirt Philadelphia den 15. Mai 1887,
    • das Besichtigungs-Protokoll datirt Lewes den 15. Mai 1887,
    • die amtlichen Witterungsberichte der Vorsteher der Leuchtthürme von Cap May und Cap Henlopen, und
    • eine amtliche Mittheilung des hiesigen Experten des Büreau Veritas,


    zur Verlesung gebracht, auch eine englische Karte der nordamerikanischen Ostküste aus dem Jahre 1883 und eine englische Spezialkarte vomDelaware River aus dem Jahre 1858 mit Correctionen bis zum Jahre 1880 zur Vorlage gelangt sind, ist Nachstehendes für thatsächlich festgestelltzu errachten:

    1. Um 1. März 1887 versegelte das in Rostock beheimathete, zu 2745,6 cbm 969,19 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessene und vom Schiffer Reimar Niemann aus Dändorf geführte Vollschiff "Uranus", Unterscheidungssignal RDJM, mit einer nach Philadelphia bestimmten, aus alten Eisenbahnschienen, Lumpen und leeren Petroleumfässern bestehenden Ladung aus Hamburg. Sie war mit allem für die Reise Erforderlichen gut ausgerüstet, insbesondere auch mit den nöthigen Seekarten, unter denen sich die beiden Eingangs erwähnten befanden. Die Besatzung bestand einschließlich des Schiffers und der beiden geprüften Steuerleute R. Ahrens und T. Nissen aus 16 Personen. Das Schiff lag hinten 18 Fuß 10 Zoll und vorne 18 Fuß 3 Zoll tief; es war nach Versicherung des Schiffers in jeder Beziehung seetüchtig. Die Reise verlief, wenn sie auch bei meist flauen Winden nur langsam von Statten ging, doch glücklich und ohne jeden Unfall, bis man in die Nähe der amerikanischen Küste gelangt war.

      Um Nachmittage des 9. Mai 1887 segelte man bei flauem Winde aus ONO mit nördlichem Curse längs derselben hin, um die Delaware-Bay zu erreichen. Abends 9 Uhr peilte man den Thurm des Fenwick-Feuers in WNW½W, eine Peilung, mit welcher das zur Karte abgesetzte Besteck im Einklang stand. Schon vorher hatte man die Anker zum fallenlassen klargemacht, Lootsensignale durch Blaufeuer gemacht und die Groß und Kreuzraaen back geholt, um von einem auf das Schiff zusteuernden Kutter, welchen man für ein Lootsenfahrzeug hielt, einen Lootsen zu erhalten.

      Abends 9 Uhr kam jener Kutter längsseite, fragte, ob man einen Lootsen haben wolle, lief aber, als diese Frage vom Schiffer Niemann, welcher die Wache hatte, bejahet war, weiter, ohne einen Mann abzusetzen und kam bald aus Sicht. Der "Uranus" braßte nun wieder seine Raaen voll und setzte seine Reise mit Nordcurs fort. Abends 9 Uhr 30 Minuten peilte man Fenwick-Feuer im Westen 14 Seemeilen ab. Das zu dieser Zeit geworfene Loth ergab 16 Faden Wassertiefe. Jetzt trat dichter Nebel ein, in welchem das Feuer von Fenwick den Blicken der Besatzung entschwand. Da der Nebel während der ganzen Nacht andauerte, so kam kein Leuchtfeuer wieder in Sicht. Schiffer Niemann nahm nach seinem Besteck an, das das Schiff vor der Delaware-Mündung, östlich von einer sich dort von Süden nach Norden hinziehenden Rinne mit größeren Wassertiefen stehe, und ließ von Abends 11 Uhr an den Curs etwas westlicher nehmen, um dieselbe zu erreichen, blieb auch hierbei, obwohl die Wassertiefen nach den Lothungen gleichmäßig abnahmen.


    2. Die gesteuerten Curse waren
      • von Abends 11 Uhr bis Mitternacht NNW,
      • von Mitternacht bis Morgens 2 Uhr bei Ostwind NWzN,
      • von Morgens 2 Uhr bis Morgens 3 Uhr NW,
      • von Morgens 3 Uhr bis 3 Uhr 40 Minuten WNW und
      • von Morgens 3 Uhr 40 Minuten an West.

        Gelothet wurden

      • um Mitternacht 14 Faden,
      • um 1 Uhr 30 Minuten Morgens 13 Faden,
      • um 3 Uhr Morgens 10 Faden,
      • um 3 Uhr 40 Minuten 7 Faden,
      • um 4 Uhr Morgens 6 bis 5 Faden.

      Seit Mitternacht hatte man, weil der Nebel immer dicker wurde, mehrere Segel festgemacht. Morgens 4 Uhr 20 Minuten, als der Schiffer undder mit ihm auf Wache befindliche zweite Steuermann gerade dabei beschäftigt waren, das Besteck zur Karte abzusetzen, berührte das Schiff plötzlich den Grund und begann heftig zu stoßen. Der Schiffer, welcher sofort auf Deck geeilt war, befahl dem Rudermann, hart aufzuluven, worauf das Schiff auch bis Nord herumkam. Das alsbald geworfene Loth zeigte eine Wassertiefe von 3½ Faden.

      Der Schiffer ließ nun sämtliche Segel setzen, das Schiff fiel aber wieder bis NzW ab und kam gleich darauf, fortwährend stoßend, ganz fest.Es war ungefähr 4 Seemeilen südlich von Cap Henlopen bei Rehoboth-Beach im Staate Delaware, unweit der nur ungefähr 1½ Kabellängen entfernten Küste, gestrandet. Nachdem alle Segel aufgegeit waren, begab sich der Schiffer mit dem eigenen Boote an Land, um Hülfe herbeizuholen. Als er gleich nach 8 Uhr Morgens an Bord zurückkehrte, waren bereits 7 Fuß 2 Zoll Wasser im Raum, welches bis Vormittags 9 Uhr 30 Minuten auf 9 Fuß anstieg. Gegen Mittag näherte sich der Schleppdampfer "Nord Amerika" dem "Uranus", um Bergungsversuche zu machen, konnte aber der starken Brandung halber nicht längsseite kommen. Dagegen kamen Berger an Bord, mit denen der Schiffer Contract machte, und die am 11. Mai begannen, den Raum, in welchem das Wasser damals schon bis auf 15 Fuß angestiegen war, zu klaren, um demnächst Dampfpumpen in Thätigkeit treten zu lassen.

      Mit Hülfe der letzteren gelang es dann auch im Laufe der folgenden Tage den Wasserstand im Raume um gut 3 Fuß zu vermindern, und bei Hochwasser unter Beihülfe des Dampfers "Nord Amerika" den "Uranus" mehrere Male eine Strecke weit fortzubewegen, aber am 14. Mai verstopften sich die Pumpen total mit Sand, und nun füllte sich das Schiff schnell ganz mit Wasser und sank so tief, dafl die Seen über das Deck wuschen.

      Am Abend dieses Tages verließen zuerst die Berger und dann auch die zur Schiffsbesatzung gehörenden Personen das Wrack, Schiffer Niemann zuletzt. Am Morgen des 15. Mai trieben schon einzelne Stücke an das Land. Noch selbigen Tages schritt auf Veranlassung des Schiffers Niemann eine aus dem Schiffsbaumeister W.S. Maul, dem Schiffscapitän H.W. Berbage und dem Lootsen Clinton Long bestehende Sachverständigen-Commission zur Besichtigung des nunmehr mit dem Deck ganz unter Wasser gesunkenen Schiffes, welches jetzt nur noch eine Kabellänge vom Ufer entfernt lag. Die Besichtiger erachteten, dafl das Schiff nicht abgebracht werden könne, und empfahlen im Interesse aller Betheiligten den Verkauf des Wracks und des geborgenen Inventars. Der "Uranus" ist in folge dessen condemnirt, und sind alsdann Wrack und Inventar am 25. Mai 1887 öffentlich meistbietend zusammen für 933 Dollar verkauft worden.

    3. Wie die Vorsteher der Leuchtthürme zu Cap May und Cap Henlopen in Uebereinstimmung mit dem Bericht des Vorstehers der Rettungsstation der Rehoboth-Bucht bezeugt haben, ist die Luft am 9. und 10. Mai 1887 dort dick von Nebel gewesen. Ob damals in jener Gegend des Atlantischen Oceans eine Meeresströmung nach SW gesetzt hat, worin Schiffer Niemann die Ursache des Unfalles erblickt, darüber haben die Vorsteher der genannten beiden Leuchtfeuer Stationen zwar keine Beobachtungen gemacht, der Vorsteher der Station Cap May nimmt jedoch an, daß es der Fall gewesen sein wird, da eine derartige Strömung um die in Rede stehende Jahreszeit gewöhnlich zu laufen pflege.


    4. Das Vollschiff "Uranus" ist im Jahre 1864 zu Farmingdale in Amerika aus Eichenholz erbaut und im Jahre 1882 zu Hamburg von einer Rostocker Rhederei für 52.000 M mit Inventar angekauft. Ein Jahr darauf ist das Schiff in Hamburg gezimmert und zu Anfang des laufenden Jahres ebendaselbst kalfatert und neu gekupfert. Es hatte bei Büreau Veritas bis zum April 1888 die Klasse 5/6 A.1.1. und ist in den vorgeschriebenen Perioden von den Experten dieser Anstalt auf ihre Seetüchtigkeit untersucht worden. Schiffer Niemann, welcher das Schiff seit 1882 geführt hat, war als Rheder mit 215/360 betheiligt und mit seinen Parten bei verschiedenen Assecuranzen versichert.


  2. Schiffer Niemann hat nach dem von ihm zu seiner Karte sorgfältig abgesetzten Besteck in Beihalt der Ergebnisse des fleißig geworfenenLothes angenommen, und mußte annehmen, daß er am 10. Mai, Morgens 4 Uhr, als er den Curs nach Westen nahm, vor der Mündung des Delaware-Flusses, etwa 5 Seemeilen südöstlich von Cap Henlopen stehe, während er in Wirklichkeit damals ungefähr 4 Seemeilen südlich von jenem Cap und der Küste ganz nahegestanden hat. Dieser Umstand läßt sich nur aus einer Stromversetzung in südwestlicher Richtung erklären, wie solche denn auch nach dem Zeugnis des Leuchtthurm-Vorstehers von Cap May um jene Jahreszeit regelmäßig dort vorzukommen pflegt.

    Auf die Stromversetzung allein konnte jedoch die Strandung nicht zurückgeführt werden, vielmehr hat offenbar zu deren Eintritt auch der zur Zeit derselben herrschende dichte Nebel mitgewirkt, ohne welchen man sich bei der sehr guten Befeuerung des in Rede stehenden Fahrwassers über den Standort des Schiffes ganz genau hätte orientiren können und wahrscheinlich ungefährdet eingesegelt sein würde. Ein Verschulden an dem Unfalle konnte dem Schiffer nicht zur Last gelegt werden, welchem im Gegentheil das Zeugnis einer vorsichtigen Navigirung seines Schiffes ertheilt werden muß. Schon am Abend des 9. Mai, als er nach seinem Bestecke sich der Mündung des Delaware-Flusses näherte, machte er Lootsensignale und braßte back, um einen Lootsen zu erwarten.

    Als ein solcher nicht kam, steuerte er unter häufigem Lothen seinen Curs weiter, und das war richtig. Denn ankern konnte das Schiff der durch den östlichen Wind hervor gerufenen starken Dünung halber nicht, und hätte man die Nacht über vor der Mündung des Delaware beiliegen wollen, so wäre das bei dem dichten Nebel und dem sehr unreinen Wasser südwestlich von Cap May mit großen Gefahren verbunden gewesen.

    Auch daraus, daß der Schiffer am Morgen des 10. Mai den Curs mehr westlich nehmen und von 4 Uhr an rein West steuern ließ, ist demselben kein Vorwurf zu machen. Denn zwischen Cap May und Cap Henlopen zieht sich in der That eine tiefere Fahrrinne hin, und der Schiffer konnte, als das Loth eine allmälige Abnahme der Wassertiefe ergab, nicht wissen, ob sein Schiff westlich oder östlich von jener Rinne stehe, da sich nach Ausweis der Karte auch östlich von derselben zahlreiche Wassertiefen von 7 - 3½ Faden, bunt durch einander gemischt, verzeichnet finden. Unter diesen Umständen hat ihm eine Schuld an der Strandung und dem durch sie herbeigeführten Verlust des Schiffes nicht beigemessen werden können, welche auch Niemanden von den übrigen zur Besatzung des "Uranus" gehörenden Personen trifft.


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