Staatsrath von Brock | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Brigg „Staatsrath von Brock"



  1. In der Hauptverhandlung ist auf Grund der Registeracten, des vor dem Friedensrichter zu Peterhead am 12. Januar 1889 erhobenen Protestes und der Aussagen des Schiffers Zander, des Steuermanns Maas und des Zimmermanns Kimenkowski Folgendes thatsächlich festgeſtellt:


    1. Am 21. December 1888 segelte die in Rostock beheimathete, seit 17 Jahren ohne nennenswerthe Unfälle vom Schiffer Heinrich Zander aus Ribnitz geführte Brigg „Staatsrath von Brock“, Unterscheidungssignal MBWK, vermessen zu 679,2 cbm = 239,76 britischen Register Tons Netto-Raumgehalt, mit einer nach Peterhead in Schottland bestimmten, zum Theil auf Deck verstauten Holzladung aus Danzig. Sie war mit allem für die Reise Erforderlichen gut ausgerüstet. Die Besatzung bestand mit dem Schiffer und dem geprüften Steuermann Paul Maas aus 9 Personen.

      Nachdem am 26. December 1888 Cap Lindesnaes passirt war, von wo an die Brigg meist gegen westliche Winde aufkreuzen mußte, näherte sich die letztere am 8. Januar 1889 der schottischen Küste. Schiffer Zander hatte an diesem Tage von Mittags 12 Uhr an die Wache. Der Wind wehte sturmartig aus SzW und SSW, die See war sehr hoch. Abends 6 Uhr ward Buchan-Neß-Feuer, ein 16 Seemeilen weit sichtbares weißes Blinkfeuer, welches ca. 2 ½ Seemeilen südlich von Peterhead liegt, in SSW gepeilt, und Schiffer Zander, welcher die Entfernung auf 10 bis 11 Seemeilen schätzte, beschloß, den bisher gesteuerten Curs WzS festzuhalten.

      Er rechnete, da inmittelst an dortiger Küste die Ebbe einsetzen sollte, 6 Strich Abtrift und nahm an, daß das Schiff in nordwestlicher Richtung längs der Küste hintreiben würde, bis man Kinnaird-Head-Feuer am südlichen Eingang des Firth of Moray, ein festes, 17 Seemeilen weit sichtbares weiß und rothes Feuer, in Sicht bekäme. Dann beabsichtigte der Schiffer, wenn sich das Wetter nicht gebessert haben sollte, im Firth of Moray Schutz zu suchen. An Segeln standen die beiden Marssegel, das Vorstengestagsegel, das Vorgaffel- und das gereffte Briggsegel.

      Die Luft war häufig dick von Regen. Abends 7 Uhr, als es ein wenig aufgeklart hatte, sah man von Deck aus nicht nur das rothe Feuer von Peterhead, ein festes Feuer von 10 Seemeilen Sichtweite, sondern auch den Schein der Gaslaternen dieses Platzes etwas an Backbord voraus, welchen letzteren Schein man noch bis Abend 8 Uhr 30 Minuten gewahrte. Gegen 8 Uhr Abends, peilte Schiffer Zander das Buchan-Neß-Feuer, welches bis dahin immer noch sichtbar geblieben war, seiner Angabe nach in SWzS, 10 bis 11 Seemeilen ab. Von Kinnaird-Head-Feuer war auch jetzt noch nichts zu bemerken. Abends 8 Uhr übernahm Steuermann Maas die Wache, aber der Schiffer blieb bis 8 Uhr 30 Minuten ebenfalls an Deck.

      Dann gingen beide in die Kajüte und überzeugten sich aus dem in der Karte abgesetzten Besteck, daß die Brigg noch ca. 10 Seemeilen von Buchan-Neß-Feuer und noch ca. 2 ½ Seemeilen von dem nächsten Punkte der schottischen Küste abstehen müsse. Beide kehrten von dort auf das Deck zurück, und erst nachdem der Schiffer Zander dem Steuermann befohlen hatte, ihn zu rufen, wenn die See abnehme oder Kinnaird-Head-Feuer in Sicht kommen sollte, begab er sich wiederum in die Kajüte, um seinen Thee zu trinken und sich umzuziehen. Kurz vor 9 Uhr 15 Minuten will der am Ruder stehende Matrose Gundlich glattes Wasser wahrgenommen und gedacht haben, die Brigg müsse wohl unter Land stehen, während Steuermann Maas und der Ausguckmann Junge Richard Haber, welche, da sich der überbrechenden Seen halber auf der Back niemand halten konnte, bei dem Großmast fleißig ausschauten, nichts Auffallendes, insbesondere keine Brandung bemerkt haben wollen. Das Loth wurde nicht geworfen.

      Gleich nach 9 Uhr 15 Minuten Abends stieß das Schiff hinten durch, behielt aber noch Fahrt. Damals war die Luft wieder ganz dick geworden, und kein Feuer mehr sichtbar. Schiffer Zander eilte sofort auf Deck, wo der Steuermann bereits das Ruder hatte aufholen und das Briggsegel wegnehmen lassen. Die Brigg fiel auch einige Strich ab, kam dann aber, mit dem Bug NW liegend, fest und war mittelst Segelmanöver nicht wieder abzubringen. Da das Schiff schwer stieß, füllte sich die Kajüte so schnell mit Wasser, daß kaum noch Zeit blieb, die Schiffspapiere zu retten.

      Dann legte sich die Brigg stark nach Steuerbordseite über, und es mußte ein Theil der Deckslast geworfen und der Großmast gekappt werden, um sie zu erleichtern. Erst am folgenden Tage konnte die Besatzung durch ein Rettungsboot abgeborgen werden, während die Brigg selbst bald darauf von der See zerschlagen wurde. Die Ladung ist geborgen. Der Rest des Wracks sowie die angetriebenen Trümmer und Inventarstücke sind für 69 £ öffentlich meistbietend verkauft. Das Journal ist dem Schiffer auf der Heimreise beim Verlassen des Dampfers in Hamburg mit seiner Reisetasche, in welche er es verpackt hatte, in das Wasser gefallen und so verloren gegangen.


    2. Die Brigg „Staatsrath von Brock“ ist in den Jahren 1850/51 zu Ribnitz aus Eichenholz erbaut, im Jahre 1875 einer umfänglichen Zimmerung unterworfen, demnächst wiederholt nachgesehen und nach Bedarf reparirt und im Jahre 1887 zu Danzig über Wasser kalfatert worden. Classe hatte sie bereits seit 10 Jahren nicht mehr. Schiffer Zander hatte ⁸⁰⁄₇₆₈ Parten im Schiffe und war mit denselben versichert.


  2. Die Angabe des Schiffers, daß er am 8. Januar Abends 8 Uhr das 2 Stunden vorher von ihn in SSW gepeilte Feuer von Buchan-Neß in SWzS gepeilt habe, muß auf einem Irrthum beruhen. Denn wäre diese Peilung richtig gewesen, so würde die Brigg Abends 6 Uhr weiter von der Küste abgestanden haben als Abends 8 Uhr, was bei dem von ihr inzwischen gesteuerten Curse, WzS unmöglich der Fall gewesen sein kann, auch wenn die Abtrift 6 Strich betragen haben sollte. In Wirklichkeit wird das genannte Feuer, wie das Seeamt annimmt, Abends 8 Uhr südlicher, in SzW oder SSW gestanden haben.

    Weiter muß es auffallen, daß die Entfernung der Brigg von dein Buchan-Neß-Feuer Abends 6 Uhr und Abends 8 Uhr nach Schätzung des Schiffers so ziemlich die gleiche gewesen ist, da die Brigg, wenn sie annähernd eine Abtrift von 6 Strich hatte, ungefähr in nordwestlicher Richtung hintreiben und sich somit weiter von jenem Feuer entfernen mußte. Allein dieser auffallende Umstand mag nach Ansicht des Seeamts seine Erklärung darin finden, daß die Fluth, welche an der Küste Abends 6 Uhr ihre größte Höhe erreicht hatte, weiter in See noch länger und vielleicht über 8 Uhr Abends hinaus gelaufen haben wird, wie es in der Nähe der Küsten häufiger der Fall ist. Dann aber muß die Brigg nothwendig eine erheblich geringere Abtrift gehabt haben und indem sie bei dem von ihr gesteuerten Curse westlich avancirte, wird sie auf den Strand gelangt sein.

    Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht auch die von Zimmermann Kimenkowski eidlich bezeugte Thatsache, daß Abends 7 Uhr die Gaslaternen von Peterhead voraus an Backbordseite gesichtet sind, und man damals also schon die Höhe dieses Platzes überschritten hatte. Denn hätte die Brigg von da an noch eine erhebliche Abtrift nach Norden gehabt, dann konnte sie nicht schon 2 ½ Seenteilen nördlich von Peterhead auf den Strand kommen. Wäre die Schätzung des Abstandes von Buchan-Neß-Feuer eine auch nur annähernd richtige gewesen, so würde, da dann Abends 8 Uhr die Brigg noch ca. 2 ½ Seemeilen von der Küste entfernt gewesen wäre, der gesteuerte Curs, selbst wenn die Abtrift nicht volle 6 Strich betragen hätte, dieselbe frei von der Küste an den Eingang des Firth of Moray oder doch in Sicht des Kinnaird-Feuers geführt haben und auch in letzterem Falle würde voraussichtlich die Strandung vermieden worden sein.

    Allein jene Schätzung des Abstandes war offenbar eine irrthümliche, wie ohne weiteres aus der Belegenheit der Strandungsstelle hervorgeht und es unterliegt keinem Zweifel, daß derselbe in Wirklichkeit sowohl Abends 6 Uhr als Abends 8 Uhr höchstens 4 bis 5 Seemeilen betragen hat. War das aber der Fall, so konnte die Brigg bei dem Curse, welcher gesteuert wurde, selbst unter Mitwirkung des Ebbestromes und bei einer dadurch bis zu 6 Strich gesteigerten Abtrift nicht mehr von der Küste frei kommen, sondern mußte nothwendig an den Strand gerathen. In der irrthümlichen Distanceschätzung erblickt daher das Seeamt die eigentliche Ursache der Strandung. Daran, daß das rothe Feuer von Peterhead erst Abends gegen 7 Uhr bemerkt wurde, konnte der Schiffer seinen Irrthum nicht erkennen, da sich das verspätete Erscheinen dieses 10 Seemeilen weit sichtbaren Feuers sehr wohl aus dem Umstande erklären ließ, daß die Luft so lange dick von Regen gewesen war und grade jetzt etwas abgeklart hatte.

    Ob er denselben an den ebenfalls um jene Zeit in Sicht gekommenen Schein der Straßenlaternen von Peterhead hätte erkennen können und müssen, muß dahin gestellt bleiben, da in dieser Beziehung, namentlich über die Stärke des Scheines, Hinreichendes nicht hat festgestellt werden können und jedenfalls die Behauptung des Schiffers, daß er nach der Beschaffenheit desselben den Abstand der Brigg von Peterhead auf mindestens noch 6 bis 7 Seemeilen geſchätzt habe, nicht widerlegt ist. Anlangend das weitere Verhalten des Schiffers, so ist ihm daraus, daß er das Loth nicht werfen lief, kein Vorwurf zu machen. Denn das Tiefloth war unterwegs verloren gegangen und die Benutzung des kleinen Lothes wäre bei der hoch gehenden See und der bis fast an die Küste hinan reichenden bedeutenden Wassertiefe zwecklos gewesen.

    Dagegen kann dem Schiffer der Vorwurf, daß er es an der nöthigen Vorsicht in etwas hat fehlen lassen, nicht erspart werden. Bei der herrschenden dicken Luft waren Entfernungen von Landfeuern nicht mit Sicherheit zu schätzen und im Falle einer Ueberschätzung lag die Gefahr einer Strandung nahe. Unter solchen Umständen wäre es nach Ansicht des Seeamtes vorsichtiger gewesen, von 8 Uhr Abends an, anstatt den bisherigen Curs weiter zu verfolgen, über den anderen Bug eine halbe Wache hindurch von der Küste abzuliegen. Die Brigg würde dann allerdings in nordwestlicher Richtung weggetrieben sein und sich möglicherweise verhältnismäßig weiter von ihrem Bestimmungshafen entfernt haben, allein der dadurch eventuell herbeigeführte Zeitverlust konnte nicht in Betracht kommen, da er zu einem etwaigen Verlust von Schiff und Ladung in gar keinem Verhältniß stand. Zur Entschuldigung gereicht dem Schiffer für den gerügten Mangel an Vorsicht die Thatsache, daß er von der Richtigkeit seiner Distanceschätzung überzeugt war und für den Irrthum in der letzteren die herrschende dicke Luft, welche die Schätzung von Entfernungen sehr erschwert.


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