O Kohan

Seeunfall der Bark „O. Kohan"



  1. Am 29. Juli 1892 ist die in Rostock beheimathete Bark „0. Kohan“, Unterscheidungs-Signal MCVG, unweit Agujero – Petit-Trou – an der Südostküste von St. Domingo gestrandet und gänzlich verloren gegangen. Bezüglich dieses Unfalls ist in der stattgehabten Hauptverhandlung auf Grund


    • der verlesenen Aussagen des am 3. November 1892 vor dem Seeamt vernommenen Schiffers Albert Witt,
    • der weiter verlesenen Schriftstücke als

      • der betreffenden Einträge in das Schiffsjournal,

      • des Besichtigungs-Protocolls d. d. St. Domingo 17. August 1892,

      • der Aussagen des Lootsen Estefan Martis in St. Domingo City zum Protocol der dortigen Hafen-Commandantur vom 19. August 1892,

      • der vor dem deutschen Consul daselbst eidlich abgelegten Verklarung vom 23. August 1892,

      • der Register-Acten das Wachstehende thatsächlich festgestellt:
        1. Die Bark „O. Kohan“ ist in den Jahren 1870/71 zu Rostock aus Eichenholz erbaut und demnächst zu 1199,5 cbm = 432,42 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessen. Geführt wurde das Schiff seit dem Jahre 1888 vom Schiffer Albert Witt in Daendorf, welcher ⁹⁶⁄₃₆₀ Parten im Schiffe hatte und mit denselben zu 13000 M versichert war.


        2. Am 12. Juni 1892 verließ die Bark mit ungefähr 150 Tons Pockholz Barakona, einen an der Südostküste von St. Domingo und zwar an der Rewa-Bai gelegenen Ort, um nach Petit-Trou (Agujereo), einem ungefähr 40 Seemeilen südlicher, ebenfalls an der Rewa-Bai gelegenen nach der See zu ganz offenen Platz zu segeln, wo sie weitere Holzladung einnehmen sollte. Sie befand sich in einem vollkommen seetüchtigen Zustande und hatte damals sowohl bei Bureau Veritas als auch bei dem Germanischen Lloyd Classe. Ihre Besatzung bestand mit dem Schiffer Witt und dem als Steuermann fungirenden Schiffer Eduard Andreis zu Dierhagen aus 10 Personen. Außer den letzteren war noch der vom Schiffer Witt zur Führung der Bark an den Bestimmungsplatz angenommene Hafenlootse Estefan Martis aus der Stadt St. Domingo an Bord.

          Am 14. Juni traf die Bark vormittags auf Guanal-Rhede vor Petit-Trou ein und ging dort nach Anordnung des Lootsen ca. 150 Faden von der Küste entfernt vor Anker. Die letztere, welche sich dort von NO nach SW erstreckt, besteht aus einem flachen Ufer, hinter welchem sich ein hügeliges Terrain erhebt. Parallel mit der Küste verläuft ein ungefähr 3 Seemeilen langes und ¾ Seemeile weit in die See hineinspringendes Korallenriff, welches am östlichen und am westlichen Ende je einen schmalen Durchgang für ein- und ausgehende Schiffe frei läßt.

          Der nur 11 Fuß Wasser haltende östliche Durchgang wird für die einkommenden, der ungefähr 20 Fuß Wasser haltende westliche, welcher nach West zu das in südlicher Richtung vorspringende Cap St. Luis begrenzt, für die mit Ladung ausgehenden Schiffe benutzt. Der Ankergrund auf der zwischen dem Riff und dem Ufer befindlichen Rhede ist mit zahlreichen Steinen und Korallenspitzen bedeckt.

          Die Bark, welche vor beiden Bugankern lag, nahm nun weitere Ladung ein, was vielfach durch stürmische Winde und hohe Brandung erschwert wurde, bis sie einen Tiefgang von ungefähr 14 ½ Fuß erreicht hatte. Darauf verließ sie am Morgen des 29. Juli den Ankerplatz, um nach Barakona zurückzukehren, wo sie den Rest der nach Liverpool bestimmten Holzladung empfangen sollte. Der Wind war NO, mäßige Briese. Nach Anordnung des wiederum an Bord befindlichen Lootsen Estefan Martis wurden nur die Vor- und Groß-Unter- und Obermarssegel gesetzt, während die übrigen Segel zum sofortigen Setzen klar gemacht wurden.

          Um die im Fahrwasser liegenden Steine und Korallenspitzen besser übersehen und denselben ausweichen zu können, begab sich der Lootse auf das äußerste Ende des Klüverbaums hinaus, und zwei Mann wurden an das Ruder beordert, um dasselbe den Befehlen des Lootsen entsprechend prompt zu bedienen. So bewegte sich die Bark in südwestlicher Richtung langsam längs der Küste fort, um den bei St. Luis belegenen Ausgang zu gewinnen. Als dieselbe glücklich in die Nähe des eben erwähnten Caps gekommen war, befahl der Lootse anzuluven, worauf das Ruder sofort hart Steuerbord gelegt ward, und die Bark bis OSO anluvte. Nachdem dann noch Fock und Klüver gesetzt waren, segelte die letztere eine kurze Zeit in diesem Curse weiter, als der Wind plötzlich östlicher holte, und alle Segel back kamen. Da gleichzeitig eine hohe östliche Dünung und eine starke Strömung recht von vorn auf die Bark eindrangen, verlor diese in der engen Rinne zwischen den Korallenriffen und dem Cap St. Luis gänzlich ihre Fahrt und begann rückwärts zu treiben.

          Auf Commando des Lootsen ließ man sofort beide Anker fallen und steckte je 15 Faden Kette aus. Dann nahm man alle Segel weg und brachte einen Anker aus, um die Bark vor dem Einsetzen einer stärkeren Briese daran weiter nach außen zu holen. Da aber Wind und See schnell zunahmen, mißglückte dieser Versuch und die Bark, deren Anker des steinigen Grundes halber nicht halten wollten, trieb weiter und weiter rückwärts, bis sie stieß und fest kam. Der Schiffer ließ die Nothflagge hissen; da die Küste dort aber unbewohnt ist, kam keine Hülfe.

          Inzwischen wurde die Brandung immer stärker, und die nunmehr heftig stoßende Bark fing an, sich mit Wasser zu füllen, und legte sich mehr und mehr nach Backbordseite über. In einem Schiffsrath beschloß die Besatzung das Schiff, zu dessen Abbringung ihre eigenen Kräfte nicht ausreichten, zu verlassen und begann sofort mit der Bergung des Inventars und ihrer Effecten. Am folgenden Tage schickte der Schiffer einen Boten mit der Nachricht von dem Unfall an den deutschen Consul in Stadt St. Domingo ab, worauf dieser einen Schooner mit 3, von ihm mit der Besichtigung des Wracks beauftragten Sachverständigen an die Strandungsstelle entsandte, welcher indeß erst nach ungefähr 3 Wochen dort eintraf.

          Die Besichtiger fanden das Wrack auf einer ungefähr 600 Fuß vom Ufer entfernten Bank In hoher Brandung, im Boden zerschlagen, voll Wasser und stark eingesandet. Sie gaben ihr Erachten dahin ab, daß Schiff und Ladung als total verloren zu betrachten und daher, um weiteren Verlust zu vermeiden, baldmöglichst in öffentlicher Auction zu verkaufen seien. Mit ihnen zusammen schifften sich die Schiffbrüchigen, welche so lange in einer von ihnen am Strande erbauten Hütte Unterkunft gefunden hatten, auf dem Schooner nach Stadt St. Domingo ein, wo demnächst durch den von dem deutschen Consul dazu requirirten Auctionator George Mansfield das geborgene Inventar und das Wrack mit der Ladung öffentlich meistbietend verkauft sind. Die Verkaufsauskunft betrug:

          • für das Inventar ungefähr 480 Thaler,

          • für das Wrack mit der Ladung ungefähr 400 zusammen ungefähr 880 Thaler dominicanischer Währung.


  2. Nach den thatsächlichen Feststellungen in rat. I sub 2 muß der Unfall auf die in dem Spruche hervorgehobenen Umstände zurück geführt werden. Durch das plötzliche Umspringen des Windes nach O kamen die Segel back zu liegen, und nun drängten Wind und See die Bark rückwärts. Auch jetzt noch würde die Strandung vermieden worden sein, wenn die Anker zum Halten gekommen wären. Da das aber des steinigen Grundes wegen nicht geschah, so war das Schicksal der Bark, welche jetzt nothwendig in den Strand treiben mußte, nicht mehr abzuwenden.

    Die Frage, ob der Unfall durch den Schiffer oder Steuermann verschuldet oder mit verschuldet sei, war zu verneinen. Für die Navigirung des Schiffes war allein der Lootse verantwortlich, und dessen Anordnungen sind von den genannten beiden Schiffsofficieren prompt zur Ausführung gebracht worden. Aber auch ein Verschulden des Lootsen liegt nach Ansicht des Seeamts nicht vor. Derselbe hat bei Führung der Bark die größte Vorsicht walten lassen und genau nach den Vorschriften des im Jahre 1887 von dem Hydrographischen Amt in London herausgegebenen West-India Pilot (vol. II Seite 292 und 293) gehandelt. Was nach der Strandung seitens der Besatzung gethan ist, entsprach vollkommen der Sachlage.

    Das Abbringen der Bark war ohne Dampfer-Assistenz nicht möglich, und da es an jeder Gelegenheit zur Herbeischaffung eines solchen fehlte, so blieb nichts übrig, als die Effecten und das Inventar zu bergen und sodann das Wrack zu verlassen. Die Südostküste St. Domingo bietet bei Petit-Trou, wie auch in dem oben erwähnten West-India Pilot hervorgehoben wird, für die sie besuchenden Schiffe große Gefahren, und es sind dort zahlreiche Schiffbrüche vorgekommen.

    Das Seeamt erachtet es daher für im hohen Grade wünschenswerth, daß irgend welche Einrichtungen getroffen werden, welche geeignet sind, bei Strandungen an jener öden und unbewohnten Küste den Schiffbrüchigen die Möglichkeit einer schnellen und wirksamen Hülfe zu gewähren. In erster Linie dürfte sich im Hinblick auf die dort bei auflandrigen Winden meistens stehende hohe Brandung die Herrichtung einer Rettungsstation empfehlen. Sollte aber eine solche nicht erreichbar sein, so würde schon die Herstellung einer telegraphischen Verbindung mit einem der nächsten größeren Küstenplätze nach Ansicht des Seeamts erheblich zur Verminderung der oben erwähnten Gefahren sowie zur Sicherung der Schiffahrt beitragen.

zurück zur Auswahl