Mira Flores | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark "Mira Flores"



  1. in den am 11. Mai und 6. Juli 1888 und am 22. März 1889 stattgehabten Verhandlungen des Seeamts ist auf Grund-


    • der Registerakten,

    • der Aussagen des Schiffers Albert Witt aus Dändorf und des Steuermanns Friedrich Schröder aus Wustrow,

    • der zur Verlesung gebrachten Schriftstücke, als-

      • eines Berichts des Sir Napier Broome, Rottnest, an den Parlaments-Abgeordneten Colonel F. A. Stanley vom 15. Februar 1886,
      • einer Zählkarte datirt Fremantle, 24. Februar 1886,
      • der notariellen Verklarung datirt Fremantle, 2. Februar 1886,
      • einer gutachtlichen Aeußerung des Hafenmeisters Russel zu Fremantle vom 20. April 1887,
      • zweier Bescheinigungen über die zur Zeit des Unfalls herrschende Luft seitens Leuchtthurm-Vorstehers N. Rickers von der Feuerstation Rottnest und des Lootsen I. G. Butcher von der Lootsenstation Rottnest, und

    • der dem Seeamt vorliegenden Karten und Segelanweisungen, als

      • einer dem Seeamt gehörenden Fremantle und die Insel Rottnest mit enthaltenden englischen Admiralit‰tskarte von West-Australien größeren Bestecks mit Correctionen bis zum Jahre 1880, Nr. 1058,
      • einer mit dieser Karte völlig übereinstimmenden, dem Seeamt von dem Colonialsecretair zu Perth (Australien) übersandten Handzeichnung von der Insel Rottnest,
      • einer vom Schiffer Witt überreichten englischen Karte kleineren Bestecks von der Südwestküste Australiens aus dem Jahre 1877 mit Correctionen bis zum September 1885,
      • eines dem Seeamt gehörenden Australia Directory, herausgegeben von dem hydrographischen Amt zu London im Jahre 1881,
      • eines vom Schiffer Witt überreichten Directory the navigation of the Indian Ocean, West-Australien mit enthaltend, von Alex Georg Findlay in London, herausgegeben im Jahre 1882,


    1. Am 28. October 1885 versegelte die in Rostock beheimathte, von Schiffer Albert Witt aus Dändorf geführte Bark "Mira Flores", Unterscheidungs-Signal MDLC, mit einer nach Fremantle an der Westküste Australiens bestimmten, sehr werthvollen Ladung Stückgüter aus London. Die "Mira Flores" war im Jahre 1867 in England aus Eisen erbaut, hatte einen Nettoraumgehalt von 1415 cbm gleich 500 britische Register-Tons und befand sich in einem durchaus seetüchtigen Zustande. Zu der 11 Köpfe zählende Mannschaft gehörte der geprüfte Steuermann Friedrich Schröder aus Wustrow. Wie Schiffer Witt behauptet, haben sich Exemplare von der vorstehend unter D. c. aufgeführten Karte und den unter D. e. erwähnten Segelanweisungen an Bord befunden und sind dieselben von ihm zur Zeit des Unfalls benutzt worden.

      Diese Behauptung ist durch den Steuermann Schröder insofern bestätigt worden, als derselbe bekundet hat, die an Bord befindlich gewesene Karte von einem Theil der Westküste Australiens mit Fremantle und der Insel Rottnest habe dem Aeußeren nach der ihm vorgelegte, unter D.c. aufgeführten vollkommen geglichen und sei von demselben kleinen Besteck gewesen, die Segelanweisungen aber hätten ebenso wie die unter D.e. bezielten, ihm gleichfalls vorgelegten einen 4 Finger starken Band gebildet und wären dem letzteren auch sonst ihrem Aeußeren nach ganz ähnlich gewesen.

      Durch die von dem Schiffer bestrittene Angabe des Hafenmeisters Russel zu Fremantle, dafl sich ersterer im Besitze der unter D. a. genannten Küstenkarte größeren Bestecks befunden haben werde, wird diese Angabe des Schiffers nicht für widerlegt erachtet. Nachdem die Reise bis dahin ohne bemerkenswerthe Ereignisse verlaufen war, peilte man am 29. Januar 1886 Abends 8 Uhr in NO ungefähr 20 Seemeilen ab das Feuer von Rottnest, einer etwa 10 Seemeilen westlich von Fremantle belegenen, sich von Ost nach West erstreckene, fast 6 Seemeilen lange Insel mit hohen Bergen. Um Mitternacht hatte man jenes Feuer im Ost ungefähr 10 Seemeilen ab. Es wehte eine gleichmäßige Briese aus OSO und OzS; die See war ruhig.

      Am 30. Januar Morgens 4 Uhr ging die Bark, welche die Nacht über unter kleinen Segeln nördlich angelegen hatte, über Stag, setzte mehr Segel und steuerte mit SSO Curs auf das westliche Ende der Insel Rottnest zu, welches man um jene Zeit SOzS etwa 11 Seemeilen ab peilte. Schiffer Witt wollte sich der Insel bis auf etwa 1 ½ Seemeilen nähern und dann wieder wenden, um so nach Fremantle aufzukreuzen. Eine solche Annäherung erschien ihm, wie er behauptet, unbedenklich, da man nach seiner Segelanweisung von Norden kommend bis auf auf jene Entfernung habe an die Küste hinangehen können. Die Luft war nach See klar, aber über der Insel Rottnest neblig, so daß man, wie Schiffer und Steuermann angeben und sowohl von dem Leutthurm-Vorsteher Rickers als auch von dem Regierungslootsen Butcher im wesentlichen bestätigt ist, nur die Spitzen der Berge, auf deren einem so ziemlich mitten auf der Insel der Leuchtthurm steht, deutlich sehen konnte, während die tiefer belegene Küste nur dann und wann schwach durchschimmernd zu erkennen war.

      Alle 10 Minuten wurden Peilungen von einer Bergspitze, welche der Schiffer für den North-Point der Insel hielt, und dem Leuchtthurme genommen und auf der Karte abgesetzt. Das Loth wurde beständig im Gange erhalten, zeigte eine allmälige Abnahme der Wassertiefe an und ergab Morgens 5 Uhr 12 Faden. Grade im Curse der Bark lagen voraus die Horse-Shoe Reefs, welche Inhalts des Australia Directory und nach Ausweis der Karte des Seeamts sich längs der Nordwestküste der Insel Rottnest erstrecken, ungefähr 1 Seemeile weit in die See hineinspringen und aus mit nur 7 bis 10 Fuß Wasser bedeckten Felsen bestehen. Von dem Vorhandensein dieser Riffe behauptet Schiffer Witt nichts gewußt zu haben. Er war zwar in dem Jahre 1884 schon einmal in Fremantle gewesen, damals aber nicht in die Nähe von Rottnest gekommen.

      In der der von ihm benutzten Karte finden sich die Riffe nicht mit Namen verzeichnet, und die dort längs der Nordwestküste der Insel angedeuteten springen nur ½ bis ¾ Seemeilen in die See hinein. Die Segelanweisung, welche der Schiffer an Bord gehabt haben will, erwähnt dagegen Horse-Shoe Reefs ausdrücklich mit dem Bemerken, daß man von denselben frei bleibe, wenn man nicht weiter als 1 ½ Seemeilen an die Küste hinangehe und Duck-Rock Baken nördlich von North-Point gut frei sehe. Den betreffenden Passus will Schiffer Witt aber bei der Benutzung seiner Segelanweisung am Morgen des 30. Januar übersehen haben. Die Karte des Seeamts enthält die Peilungslinie Duck-Rock Baken Nord von North Point mit der Bemerkung, daß diese Linie frei von Horse-Shoe Reefs führe; auf der der vom Schiffer angeblich benutzten Karte finden sich jedoch diese Peillinie und Bemerkung nicht. Duck-Rock Baken liegt vor der NO Spitze von Rotttnest, etwa 4 Seemeilen von den Horse-Shoe Riffen entfernt. Ein Lootse war nicht an Bord der Bark. Schiffer Witt wollte einem solchen nehmen, wenn er beim Kreuzen später in die Nähe des nördlichen Endes der Insel gelangen werde, wo sich die Lootsenstation befindet.

      Daß Lootsensignale ansegelnder Schiffe vom Leuchtthurm aus zur Lootsenstation weiter signalisirt werden, wie es der Fall ist, war ihm unbekannt. Seine Segelanweisung enthielt auch hiervon nichts. Morgens etwa 5 Uhr 30 Minuten schätzte Schiffer Witt den Abstand der Bark von dem nächsten Punkt der Küste auf 1 ½ Seemeilen, und die Bergspitze, welche er für North-Point hielt, peilte O¼S. Er befahl daher, daß gewendet werde. Das grade an Backbordseite geworfene Loth ergab 9½ Faden. Als die Mannschaft eben zur Ausführung des vom Schiffer gegebenen Befehls geschritten war, stieß die Bark plötzlich auf einen der Felsen des Horse-Shoe Riffes, ohne jedoch festzukommen. Da sich bei der sofort vorgenommenen Peilung der Pumpe in dem sonst immer sehr dichten Schiff bereits 3 Fuß Wasser fanden und letztes so rapide zunahm, daß Schiffer Witt ein schnelles Sinken seines Fahrzeugs befüchtete, ließ derselbe, anstatt über Stag zu gehen, weiter auf die Küste zu halten, um so wenn möglich, Schiff, Ladung und Menschenleben zu retten, und gleichzeitig das Rettungsboot klar machen.

      Nach weiteren 5 Minuten faßte die Bark von neuem Grund und sank darauf so weit weg, daß das Quarterdeck einen Fuß hoch überfluthet wurde. Auf die Nothsignale, welche der Schiffer setzen ließ, kam eine Stunde später ein Lootse von der Rottnest-Lootsenstation herbei, von welchem Schiffer Witt erfuhr, daß ein Schleppdampfer nicht zu haben sei. Lloyd`s Besichtiger, welche Nachmittags aus Fremantle eintrafen und die Bark besichtigten, erklärten dieselbe für total wrack, weshalb Schiffer Witt mit dem Löschen der Ladung und dem Abtakeln des Schiffes beginnen ließ, welches sodann am Morgen des folgenden Tages, nachdem es von seiner Besatzung verlassen worden, durch die Zollbehörde in Beschlag genommen wurde.Das Wrack, welches bald auseinander barst, ist für 7 £, das geborgene Inventar für 285 £ öffentlich meistbietend verkauft.


    2. In einer dem Seeamt von den Herren Staatssecretair des Innern zu Berlin mitgetheilten, auf den Unfall bezüglichen Zählkarte datirt Fremantle 24. Februar 1886 heiflt es unter der Rubrik:

      Bemerkungen des Beamten über Einzelheiten und Ursachen des Unglücksfalles:

      "Es ist sehr schade, daß, da das Schiff ein fremdländisches war, eine Untersuchung nicht angestellt werden konnte, weil es ein Fall der unentschuldbarsten Nachlässigkeit zu sein scheint", und in einem dem Seeamt von derselben Stelle abschriftlich zugefertigten Bericht des Gouverneurs F. Napier Broom in Perth an den Parlaments-Abgeordneten Colonel F. A. Stanley vom 15. Februar 1886:

      "Die "Mira Flores" lief bei hellem Tage und ruhigem Wetter auf das dicht am Lande befindliche Riff. Das Schiff befand sich in einer Position, in der es überhaupt nicht hätte sein dürfen".

      Auf eine Anfrage nach der Bedeutung dieser letzten Worte übermittelte sodann das Colonial-Secretariat zu Perth im Auftrage des Gouverneurs dem Seeamt ein vom 20. April 1887 datirtes sachverständiges Erachten des Hafenmeisters L. R. Russel in Fremantle, in welchem sich der letztere folgermaßen ausspricht:

      Die Bark "Mira Flores" sei nachdem sie während der Nacht vom 29. auf den 30. Januar nach Norden gestanden, am Morgen des letzten Tages über Stag gegangen und habe dann mit östlichen Winde auf die Nordwestecke der Insel Rottnest zugesteuert. Der Curs sei ungefähr SSO und genau auf die Landenge 1½ Seemeilen östlich von Kap Flaming zu gerichtet gewesen. Der Schiffsführer, welcher schon einmal in Fremantle gewesen sei, habe sich im Besitze der allgemeinen Karte des Hafens (No. 1058 Rottnest) befunden. Auf dieser Karte seien Marken, mittelst deren man die Horse-Shoe Reefs vermeiden könne, genau angegeben, nämlich: Duck-Rock Baken offen nördlich von North-Point. Wenn man einen Blick auf diese Karten werfe, werde man sehen, daß der Schiffer, wenn er jene Linie überschritten habe, nur 1 Seemeile von dem nächsten Punkte der Horse-Shoe Riffe entfernt gewesen sei.

      Nehme man nun an, daß die Bark, ein schneller Segler, von 8 Knoten gelaufen, so habe dieselbe in 7 bis 8 Minuten auf die Felsen gerathen müssen. Falls der Schiffer überhaupt auf dem Ausguck gewesen sei, hätte er, sobald Duck-Rock Baken durch North-Point verdeckt worden, sofort über Stag gehen müssen, und wenn er auch nur einen Augenblick weiter über jene Linie herausgegangen sei, treffe ihn die schwerste Verantwortung.


  2. Auf Grund der vorhergehenden Feststellungen nimmt das Seeamt an, daß zur Zeit der Strandung die Luft über der Insel Rottnest unten nebelig, und daher die ziemlich weit vorspringende Nordspitze der letzteren von Bord aus nicht sichtbar gewesen ist, während man den bedeutend höheren Bare-Hill von dort aus sehen konnte.Letztere Höhe hat Schiffer Witt offenbar irrthümlich für North-Point gehalten, und in dieser durch die herrschende diesige Luft herbeigeführten Verwechslung erblickt das Seeamt die eigentliche Ursache der Strandung. In jenem Irrthum befangen, mußte Schiffer Witt glauben, noch hinreichend weit von der Insel abzustehen, der man sich nach seiner Segelanweisung bis auf 1½ Seemeilen nähern durfte, und er mußte in dieser Annahme durch die Lothungen bestärkt werden, da sich auf der von ihm angeblich benutzten Karte Wassertiefen von 9 bis 11 Faden in 1½ Seemeilen Entfernung von der Nordküste der Insel verzeichnet finden.

    Wenn nun Bare-Hille erheblich südlicher liegt als North-Point, so führte die auf dessen Peilung gegründete Schätzung des Abstandes der Bark von dem in der unten diesigen Luft nicht deutlich erkennbaren Ufer nothwendig zu einem falschen Resultate, welches dann die zu große Annäherung an die gefährlichen Riffe und somit die Strandung zur Folge hatte. Was im weiteren das Verhalten des Schiffers angeht, so legt das Seeamt den Aeußerungen des Sir Napier Broome und der Zählkarte keinen erheblichen Werth bei und ebensowenig dem abfälligen Urtheil des Hafenmeisters Russel zu Fremantel. Denn alle jene erachtlichen Aeußerungen gehen offenbar von der Voraussetzung aus, dafl der Schiffer eine Karte größeren Bestecks an Bord gehabt habe, in der die Peilungslinie North-Point - Duck Rock verzeichnet war, und diese Voraussetzung fehlt es an jedem Beweise.

    Vielmehr nimmt das Seeamt an, daß die von dem Schiffer besessene und benutzte Karte kleineren Bestecks gewesen ist und jene Peilungslinie nicht enthalten hat, und weiter, daß der Schiffer ein Exemplar der von ihm überreichten Segelanweisung an Bord hatte. Nach letzterem aber durfte er sich der Nordküste von Rottnest bis auf 1½ Seemeilen nähern.

    Nicht zu tadeln ist es, daß der Schiffer den während der Nacht verfolgten nördlichen Curs nicht beibehielt, sondern am 30. Januar Morgens 4 Uhr über Stag ging und die Bark mit der Richtung auf Rottnest an den Wind legte. Er mußte gegen den östlichen Wind nach Fremantle aufkreuzen, und da der Wind in jener Meeresgegend Tags über südlich zu drängen, und eine kräftige Strömung längs der australischen Küste nordwärts zu setzen pflegt, so lag es im Interesse einer Beschleunigung der Reise, nicht weit nördlich wegzugehen, sondern im Schutze der Insel Rottnest zu bleiben, und der Schiffer konnte hoffen, mit kurzen Schlägen den Bestimmungshafen bald zu erreichen.

    Auch daraus ist dem Schiffer ein begründeter Vorwurf nicht zu machen, daß er, als er sich der Insel Rottmest näherte, nicht versuchte, einen Lootsen zu bekommen, was, da die Lootsensignale vom Leuchtthurm aus zur Lootsenstation weiter befördert werden, möglich gewesen wäre. Denn der Schiffer, welchem diese letztere Einrichtung unbekannt war, beabsichtigte, zunächst wieder von der Insel abzuliegen, dann über Stag zu gehen, um sich derselben abermals zu nähern, und wenn er so in die Nähe der Lootsenstation am östlichen Ende der Insel gelangt sein werde, einen Lootsen an Bord zu nehmen; und ein solches Verfahren war an sich richtig und der Sachlage entsprechend. Hat nun zwar das Seeamt der Versicherung des Schiffers, dafl er bei der beabsichtigten Ann‰herung an die Insel bis auf 1½ Seemeilen an keine Gefahr gedacht habe, im Rücksicht auf den Inhalt der von ihm benutzten Segelanweisung, auf den Umstand, dafl auf seiner Karte das Horse-Shoe Riff nicht besonders angeführt war, sowie auf die offenbar geschehene Verwechslung des Bare-Hill mit dem North-Point, Glauben schenken müssen, so kann es demselben dennoch den Vorwurf der Unvorsichtigkeit nicht ersparen.

    Denn bei der nebeligen Luft war eine sichere Schätzung des Abstandes kaum möglich und der Schiffer hätte daher gar nicht versuchen sollen, bis auf 1½ Seemeilen an die Insel hinanzugehen, umsoweniger, als eine solche Annäherung durch die Umstände in keiner Weise geboten war. Da er die Küste aus eigener Erfahrung nicht kannte, keine Karte größeren Bestecks besaß und das Vorhandensein von Riffen aus seiner Karte ersah, wäre es seine Pflicht gewesen, schon eher wenden zu lassen und so die Bark und deren werthvolle Ladung der Gefahr einer Strandung zu entziehen, welche mit den Vortheilen der beabsichtigten größeren Annäherung in gar keinem Verhältnisse stand.

    Was endlich den Verlust des Schiffsjournals anlangt, so wird derselbe nach Ansicht des Seeamts durch die den Unfall begleitenden Umstände vollkommen entschuldigt. Nachdem die Bark zum ersten Mal gestoßen, war es die nächste Aufgabe des Schiffers, diejenigen Anordnungen zu treffen, welche geeignet erschienen, Schiff, Ladung und das Leben der Mannschaft zu retten. Dann aber sank die Bark so schnell weg, daß der Schiffer das in der Kajüte aufbewahrte Journal nicht mehr auf das Deck zu schaffen vermochte. Unterliegt es nun zwar keinem Zweifel, dafl der Unfall ohne die dem Schiffer zur Last gelegte Unvorsichtigkeit vermieden worden wäre, so hat das Seeamt dennoch Bedenken getragen, aus dieser einmaligen Verfehlung gegen die jedem Schiffer obliegende Pflicht der Vorsicht einen ausreichenden Grund zu einer Patententziehung zu entnehmen und daher dem Antrage des Reichscommissars, dem Schiffer Albert Witt die Befugnis zur ferneren Ausübung des Schiffergewerbes abzusprechen, keine Folge geben zu sollen geglaubt.

    Die Entscheidung des Ober-Seeamts lautet:

    Auf die Beschwerde des Reichscommissars gegen den Spruch des Großherzoglich mecklenburg-schwerinschen Seeamts in Rostock vom 22. März 1889 über den Seeunfall der Bark "Mira Flores" hat das Kaiserliche Ober-Seeamt in seiner zu Berlin am 13. Januar 1890 abgehaltenen öffentlichen Sitzung nach mündlicher Verhandlung der Sache entschieden, daß der Spruch des Großherzoglich mecklenburg-schwerinschen Seeamts zu Rostock vom 22. März 1889 zu bestätigen und von Ansatz der baaren Auslagen des Verfahrens abzusehen sei.

    Gründe. Den Schiffer Witt treffen folgende Vorwürfe:

    1. Er hat sich zu der Reise von London nach Fremantle nicht ausreichend mit Karten ausgerüstet, obwohl sich dazu in London die beste Gelegenheit bot. Er hatte keine besondere Küstenkarte West-Australiens, sondern nur eine allgemeine Küstenkarte von sehr kleinem Maßstabe an Bord, welche die 5 Breitengrade von Champion-Bay bis Cap Naturaliste umfaßt. Genügte diese Karte auch zur Ansegelung der westaustralischen Küste, so war sie doch für die Annäherung an den Hafen von Fremantle bei weitem nicht genau genug und von zu kleinem Besteck. Vielmehr war dazu eine Specialkarte unerläßlich, die der Schiffer zeitig zu beschaffen nicht hätte unterlassen sollen. Eine zu große Sparsamkeit in der Anschaffung der nothwendigen guten Karten und sonstigen Hülfsmittel für die Navigation ist übel angebracht und sie rächt sich oft bitter durch Schäden, deren Belauf die geringe Ersparniß leicht um ein Vieltausendfaches übersteigt, ganz abgesehen von dem Verluste unersetzlicher Menschenleben.


    2. Da der Schiffer nun keine Specialkarte besaß, so hätte er bei der Annäherung an die Küste der Insel Rottnest die allergrößte Vorsicht beobachten sollen, was er verabschäut hat. War auch auf der an Bord befindlichen Karte das Horse-Shoe Riff, auf welches er auflief, nicht mit Namen angegeben, so ergab die Karte doch, daß die Insel Rottnest ¸berall von Riffen umgeben sei. Schon danach war es für ihn geboten, sich der Insel nicht unnöthiger Weise zu nähern und mindestens stets mehrere Seemeilen von ihr entfernt zu bleiben. kommt aber hinzu, daß das an Bord vorhandene Findlaysche Segelhandbuch für den Indischen Ocean, Ausgabe von 1882, die Untiefen um Rottnest herum sehr genau beschreibt. Der Schiffer konnte sich aus ihm nicht nur vergewissern, wie ungenügend seine Karte für die Annäherung an die Insel sei, sondern sich auch über die verschiedenen Untiefen genau genug unterrichten.

      Er will dasselbe an den betreffenden Stellen auch gelesen, aber übersehen haben, dafl auf S. 339 warnend auf das Horse-Shoe Riff hingewiesen wird; denn in seiner Vernehmung vor dem Seeamt am 29. Juni 1886 hat er ausgesagt:

      "Lootsensignale zu machen, dazu lag kein Grund für mich vor, da ich ja wenden und wieder abliegen wollte und nicht wußte, daß die blinde Klippe, auf welche wir stießen, und welche der Lootse das Hufeisenriff" nannte, vorhanden war."

      Es geht daraus hervor, daß er in leichtfertiger Weise verabschäut hat, sich die offen vor ihm liegende Mittheilungen seines Segelhandbuchs zu nutze zu machen. Nur das will er gelesen haben, daß man frei von allen Riffen der Insel Rottnest bleibe, wenn man letztere in 1½ Seemeilen Abstand behalte. So weit will er auch beim ersten Aufstoßen des Schiffes von der Küste noch entfernt gewesen sein.


    3. Hierin aber hat er sich verschätzt. Nach einer vom Colonial-Secretair zu Perth in Westaustralien mitgetheilten Skizze der Insel Rottnest und der Strandungsstelle der "Mira Flores" hat diese im Abstand von nur ¾ Seemeile vom nächsten Land zum ersten Male aufgestoßen und sich damals bereits mitten auf dem Horse-Shoe Riff befunden. So nahe am Land und auf eine so geringe Entfernung hätte er sich einer solchen unrichtigen Schätzung nicht schuldig machen sollen.

      Es war aber auch höchst unvorsichtig, sich an einer fremden Küste und bei der Unmöglichkeit, auf einer Karte kleinen Bestecke Peilungen genau abzusetzen und zur Peilung geeignete Punkte festzustellen, auf Abstandsschätzung zu verlassen und mit einem gefährlichen Curse mit 4½ Knoten Fahrt gerade auf diese Küste zuzusteuern.

      Wollte der Schiffer Witt, der seiner Angaben nach das Loth beständig im Gange hielt, sich auf dieses verlassen, so mußte er schon wenden, sobald das Loth nur noch 20 Faden zeigte; auf geringeren Tiefen war das Loth an dieser felsigen Küste überhaupt unzuverlässig und keine Orientierung damit möglich. Es könnte dem Schiffer Witt auch nicht zur Entschuldigung gereichen, wenn er die große Annäherung an Rottnest etwa zur Beschleunigung seiner Reise gewagt haben sollte. Nach der langen Fahrt von London her wäre es beim Kreuzen auf ein Paar Schllge mehr oder weniger nicht angekommen, ja es wäre aus Gründen der Vorsicht besser gewesen, einen Lootsen abzuwarten, selbst auf die Aussicht hin, den Hafen dann einen Tag später zu erreichen.

      Hat sonach Schiffer Witt zwar die Strandung der "Mira Flores" verschuldet, weil er es an der nöthigen Vorsicht fehlen ließ, so ist hierin doch nicht der Mangel solcher Eigenschaften zu finden, die zur Ausübung des Schiffergewerbes erforderlich sind. Hierbei kommt in Betracht, daß er zur Zeit des Unfalls noch ein sehr junger Mann war, dem es an Erfahrung mangelte, und daß seitdem vier Jahre verflossen sind, während welcher er theils als Steuermann, theils als Schiffer in seinem Beruf rüstig weiter gestrebt und sich weiter ausgebildet hat, ohne dafl Nachtheiliges über ihn bekannt geworden ist. Sind also seine Uebung und seine Erfahrung seitdem gewachsen, so darf auch angenommen werden, daß er es an der in seinem Berufe so nöthigen Vorsicht nicht wieder fehlen lassen werde. Die baaren Auslagen des Verfahrens waren außer Ansatz zu lassen, weil die Beschwerde vom Reichscommissar eingelegt ist.



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