Lohengrin | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark „Lohengrin"



  1. Der Seeunfall, von welchem die Bark „Lohengrin“ im November 1881 betroffen ward, und welcher nicht nur den Tod zweier Personen der Besatzung, sondern auch, wie nicht zu bezweifeln, den Untergang des Schiffes zur Folge hatte, ist auf einen schweren Leck zurückzuführen, welcher durch das theilweise Lösen der Decklast in Verbindung mit dem heftigen Arbeiten der Bark entstanden ist.
  2. Niemandem von der Besatzung ist eine Schuld an diesem Unfall oder dessen folgen beizumessen.
  3. Der gegen den Schiffer gerichtete Antrag des Reichscommissars auf Patententziehung wird abgelehnt.


  1. Am 7. November 1881 verließ die in Rostock beheimathete, dort im Jahre 1864 aus Eichenholz erbaute und zu 455,86 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessene Bark „Lohengrin“, Unterscheidungssignal MBPC, unter Führung des Schiffers Gustav Dade aus Daenendorf die Rhede von Beaver Point bei Dalhousie im Staate Neu-Braunschweig in Amerika, um mit einer Ladung Balken und Planken, von denen die ersteren ganz, die letzteren zum größten Theil im Raum und der Rest an Deck etwa 3 Fuß hoch verstaut und dort befestigt waren, nach Liverpool zu segeln.

    Das Schiff, welches nach den Aufzeichnungen zum internationalen Register des Germanischen Lloyd im Jahre 1875 im Boden besichtigt und sowohl im December 1877 als im März 1880 kalfatert ist, befand sich bei Beginn der Reise, soweit ermittelt worden, in seetüchtigem Zustande und war nach Aussage der vernommenen Besatzung insbesondere verhältnismäßig dicht, so daß die Pumpen der Regel nach nur einmal auf jeder Wache angeschlagen zu werden brauchten.

    Die Ausrüstung war im übrigen vollständig und gut, jedoch befand sich damals nur ein Boot, nämlich das große, an Bord, weil das andere, die Schalupe, in Dalhousie vor der Abfahrt fortgekommen, wahrscheinlich gestohlen war. Schiffer Dade hat sich angeblich in Beaver Point, einem kleinen, aus nur wenigen Häusern bestehenden Küstenplatze vergebens bemüht, ein anderes geeignetes Boot zu kaufen und will auf Anfrage von seinem Befrachter Georg Dutch daselbst die Versicherung erhalten haben, daß auch in Dalhousie derartige Boote nicht zu kaufen seien. Die Mannschaft bestand aus 11 Personen, nämlich: dem Steuermann Theodor Westmann, dem Koch Landschulz und dem Matrosen Kaegebein (Braasch) von hier, dem Bootsmann Stau aus Barth, den Matrosen Merler, Corrigan Nilson, Peterson, Hoppe und Bonell und dem Jungen Ward, sämmtlich vom Auslande.


  2. Die Reise verlief nach den Angaben der überlebenden Besatzung des „Lohengrin“ sowie des Schiffers Hay vom englischen Dampfer „Glendevon“ bezw. zum Verklarungsprotocoll d. d. Queenstown 2. December 1881, zu den Vernehmungsprotocollen des Kaiserlich deutschen Generalconsulats zu London vom 9. December 1881 und 27. Februar 1882, des Königlichen Amtsgerichts zu Barth vom 15. Februar 1882 und des hiesigen Seeamts vom 22. December 1881 und 7. Januar 1882, sowie nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung vom 4. Juli 1882 folgendermaßen:

    Nachdem das Wetter bis zum 10. November, bis wohin die Bark östlichen Curs verfolgt hatte, bei meist westlichen Winden durch weg gut gewesen war, setzte an diesem Tage ein harter NW-Wind mit schweren Hagelböen und hoher Seen ein, welcher am 16. November nach Ost und NO ging und zum Sturm anwuchs. Nach mittags wurden alle Segel bis auf das Großuntermarssegel und die Schoote der Fock festgemacht und als Abends gegen 6 Uhr ein Orkan aus Nord und NNW zu wehen begann, ward auch die letztere fest gemacht, während das Großuntermarssegel bei der Gewalt des Sturmes nicht weggenommen werden konnte. Die Bark lag dann mit festgebundenem Ruder beim Winde und fast zum Kentern.

    Aus letzterem Grunde und da die Seen von allen Seiten über dieselbe brachen, begann die Decklast sich zu lösen, und die Planken arbeiteten auf dem Verdecke hin und her. Abends 8 Uhr bemerkte der Steuermann, als er im Kohlenkeller nachsah, daß das noch zwei Stunden vorher lenz befundene Schiff leck gesprungen war und das Wasser bereits den ganzen Raum anfüllte. Daß sich die Bark allmälig tiefer gelegt, hatte bei der hohen See und der herrschenden, nur dann und wann von Blitzen unterbrochenen Dunkelheit Niemand wahrgenommen. Das Wasser mit den Pumpen zu bewältigen, daran war bei der offenbaren Größe des Lecks nicht zu denken. Erst am Morgen des 17. November nahm der Sturm ein wenig ab, aber die See ging nach wie vor sehr hoch, und das Schiff arbeitete furchtbar. Inzwischen hatte dasselbe, von dem Leck abgesehen, auch sonst schwere Beschädigungen erlitten.

    Die Stützen des Quarterdecks waren fortgerissen, die Vorderfront desselben durch die gelöste Decklast eingerammt, die Vorderluke und ein Theil der Deckplanken durch das Wasser im Raum aufgesprengt, die Wasserfässer und alle übrigen losen Gegenstände von Deck gespült. Nachmittags fingen die Planken am Vordersteven an sich zu lösen und am Kragen des Fockmastes sah man deutlich, daß sich dieser bereits gesenkt hatte. Da Schiffer Dade unter solchen Umständen den gänzlichen Aufbruch seines Schiffes befürchten zu müssen glaubte, ließ er, um dasselbe zu erleichtern und besser zusammen zu halten, den Großmast und den Fockmast kappen, so daß nur noch der Besahnmast stehen blieb, und die Bark nunmehr vor Top und Takel lag. Bald darauf riß eine über dieselbe hinlaufende See die Hinter- und Vorderwand der auf Deck befindlichen Cajüte weg und spülte den gesammten dort aufbewahrten Proviant fort.

    Etwas Trinkwasser war glücklicherweise noch vorhanden, und am folgenden Tage, den 18. November, wurde auch ein Sack mit Erbsen aufgefunden und unter die Mannschaft vertheilt, welche somit einstweilen noch vor dem Hunger bewahrt blieb. Am Nachmittag des 19. November kam ein fremder Dampfer in Sicht, welcher sich der Bark auf deren Nothsignale näherte. Es war dies der auf der Reise nach England befindliche in Leith beheimathete und vom Schiffer Robert Hay geführte Dampfer „Glendevon“. Der letztere ging mehrere Male um die Bark herum, drehte dann in Lee derselben bei und bedeutete deren Besatzung, sie möge sich mit ihrem eigenen Boot abbergen. Demzufolge ward an Bord des „Lohengrin“ das einzige dort vorhandene Boot ausgesetzt, welches aber sofort voll Wasser schlug, sodaß es zunächst ausgeöst werden mußte.

    Hiermit waren die Matrosen Kaegebein, Hoppe und Bonell beschäftigt, während sich die übrige Mannschaft bemühte, dasselbe mit Planken vom Schiff frei zu halten. Als das Boot, welches ein Tau mit letzterem verband, noch nicht ganz von Wasser entleert war, begab sich auch Schiffer Dade in dasselbe, und nachdem dann noch der Matrose Corrigan hineingesprungen war, ward das Verbindungstau gelöst, und das Boot trieb nun mit seinen fünf Insassen auf den Dampfer zu. Dort an gelangt gerieth es jedoch unter das Heck desselben, wo es zertrümmert ward.

    Die Matrosen Hoppe und Bonell ertranken hierbei; die drei übrigen, die Matrosen Corrigan und Kaegebein, sowie der Schiffer Dade wurden an den ihnen zugeworfenen Rettungsbojen über das Heck an Bord gezogen, der letztere, welcher die von ihm erfaßte Rettungsboje an seine genannten beiden Leute gegeben und sich mit dem Fuße in dem daran befestigten Tau verwickelt hatte, mit dem Kopfe nachunten und vollständig bewußtlos. Der Dampfer ging jetzt zu luvwärts von der Bark und die noch an Bord der letzteren befindlichen sieben Mann hofften nunmehr durch dessen Boote abgeborgen zu werden. Als dies nicht geschah, nahmen sie an, daß das Rettungswerk der inzwischen eingetretenen Dunkelheit halber bis zum nächsten Morgen aufgeschoben sei, und um den Dampfer fortlaufend über ihren Standort in Kenntniß zu erhalten, gaben sie während des Abends und die ganze Nacht hindurch alle halbe Stunde mittelst eines in Theer getauchten und angezündeten Tauendes Feuersignale, konnten aber ihrerseits von den Lichtern des Dampfers schon etwa zwei Stunden nach Eintritt der Dunkelheit nichts mehr erblicken.

    Als sie am andern Morgen nach dem letzteren ausschauten, war derselbe verschwunden. Nun kamen vier entsetzliche Tage für die sieben auf dem Wrack Zurückgebliebenen. Der Sturm raste fort, schwere Seen brachen beständig über das Wrack weg, und die Schiffbrüchigen schwebten in fortwährender Gefahr von Deck gespült zu werden; dabei fing die Bark an stückweise auseinander zu gehen, so daß deren baldige gänzliche Auflösung nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, und als die Erbsen aufgezehrt waren, trat auch noch der Hunger hinzu, welcher die Schiffbrüchigen zwang, die einzige an Bord befindliche Katze zu schlachten und zu verspeisen.

    Am 24. November Mittags kam endlich ein Segelschiff in Sicht, welches ihre Nothsignale bemerkte und sich ihnen näherte. Es war dies das amerikanische Vollschiff „Caravan“, Schiffer Dagett, welches, auf der Reise von New-York nach London begriffen, die Besatzung des „Lohengrin“ mit höchster Lebensgefahr abbarg und demnächst in London landete, von wo dieselbe nach vorgängiger eingehender Vernehmung vor dem deutschen Generalconsulat in die Heimath befördert ist. Schon vorher waren Schiffer Dade und die Matrosen Kaegebein und Corrigan mit dem Dampfer „Glendevon“ nach Queenstown gelangt. Dort haben sich die beiden letzteren anderweitig an mustern lassen, während der erstere nach Daenendorf, seinem Wohnorte, zurückgekehrt ist.


  3. Schiffer Hay vom Dampfer „Glendevon“ ist auf diesseitige Requisition zum Protocolle des eneralconsulats zu London vom 27. Februar 1882 über den Unfall vernommen und hat über denselben folgendes angegeben: Am 19. November 1881 habe er Nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr die Bark „Lohengrin“ in Sicht bekommen und auf dieselbe abgehalten. In deren Nähe angelangt, habe er bemerkt, daß die Besatzung im Besitze eines guten Bootes sei und die letztere bedeutet, sie möge sich mit demselben abbergen.

    Das Boot sei denn auch nach geraumer Zeit ausgesetzt worden, von fünf Mann der Besatzung bestiegen und auf den Dampfer zugetrieben, unter dessen Heck aber gekentert. Von den Insassen sei es nur gelungen drei mittelst Rettungsbojen an Deck zu ziehen, darunter, anscheinend todt, den Schiffer. Einer der Geretteten, ein Irländer, habe ausgesagt, es habe außer ihnen fünf Niemand in das Boot hinein wollen. Er, Schiffer Hay, habe nun sofort sein Rettungsboot klar machen lassen, aber, da es inzwischen zu dunkel geworden sei, vorläufig jeden Versuch, den Rest der Besatzung der Bark abzubergen, aufgeben müssen.

    Er habe dann den Dampfer zu luvwärts der Bark gebracht, da er bei dem schweren Sturm und der hochlaufenden See unmöglich in Lee derselben hätte bleiben können und die ganze Nacht hindurch das Deck nicht verlassen, aber nur einmal und zwar Abends ein Feuersignal der Bart gesehen. Am anderen Morgen sei von derselben keine Spur mehr zu entdecken gewesen. Er sei bis gegen Mittag auf der Stelle geblieben, wo er sie vermuthet, als jedoch nirgends etwas von ihr zu erblicken gewesen, habe er angenommen, daß sie gesunken sei und dann seine Reise fortgesetzt. Er könne sich die weite Trennung beider Schiffe nur durch die Einwirkung des Golfstromes erklären, in deren Bereich sich die Bark befunden haben werde, während der Dampfer außerhalb derselben geblieben sei.

    Damit stimmt im wesentlichen der Eintrag zu dem auf dem Dampfer „Glendevon“ geführten Schiffsjournal vom 19. und 20. November 1881 überein, woselbst es heißt: „Wir fanden es wegen der Dunkelheit der Nacht 5 Uhr Abends war das Boot der Bark längsseit gekommen unmöglich, dem Rest der Mannschaft an Bord des Wracks irgend welche Hülfe zu leisten. Hielten das Schiff unter Dampf die ganze Nacht mit dem Bug nach Westen bis Tagesanbruch, hielten um 6 Uhr Morgens ab nach dem auf der Last treibenden Schiffe, um den Rest der Mannschaft abzunehmen, konnten aber von demselben keine Spur entdecken. Kreuzten darauf bis gegen Mittag nach Süden und Osten, worauf wir das Schiff wieder auf seinen Curs brachten."

    In der Verklarung, welche Schiffer Dade und die beiden mit ihm an Bord des Dampfers „Glendevon“ geretteten Leute, die Matrosen Kaegebein und Corrigan, am 2. December 1881 in Queenstown eidlich abgelegt haben, wird zu Vorstehendem noch ergänzend hinzugefügt, der Dampfer sei die Nacht über zur Stelle geblieben, indem er die Maschine nur so viel habe gehen lassen, um sich mit dem Bug gegen die See halten zu können und sei die Position desselben am Morgen des 20. November 44° Nordbreite und 43° Westlänge gewesen.


  4. Ueber die Vorgänge an Bord der Bark am Nachmittag des 19. November vor dem Abstoßen des Bootes insbesondere darüber, wie es gekommen ist, daß nicht alle zur Besatzung gehörigen Leute mit letzterem abgeborgen sind, gehen die Aussagen der Betheiligten nicht unerheblich auseinander.


    1. Schiffer Dade und die Matrosen Kaegebein und Corrigan haben sich in der Verklarung d. d. Queenstown 2. December 1881 darüber folgendermaßen ausgesprochen:

      Ihr Boot sei, als sie dasselbe nach Annäherung des Dampfers zu Wasser gebracht hätten, halb voll geschlagen. Nur einer von der Mannschaft habe sich in dasselbe hinein gewagt, um es auszuösen. Der Schiffer sei daher zu ihm hinein gegangen, um ihm zu helfen und das Boot vom Schiffe frei zu halten. Gleich darauf hätten sich noch drei Mann in dasselbe begeben, während der Rest der Mannschaft augenscheinlich darauf gewartet habe, daß der Dampfer ein Boot senden solle. Nun müsse die Fangleine des Bootes gebrochen oder von denen an Bord losgeworfen sein, denn plötzlich sei das Boot von der Bark weg und auf den Dampfer zugetrieben. Hierzu hat der Schiffer in der Hauptverhandlung noch weiter Nachstehendes angeführt:

      Gleich als das britische Schiff in Sicht gekommen sei, habe sich bei der Mannschaft eine allgemeine Abgeneigtheit gezeigt, sich des eigenen Bootes zum Abbergen zu bedienen, vielmehr sei von mehreren Seiten geäußert worden, der Dampfer habe Rettungsboote genug an Bord. Als sie dann von Dampfer bedeutet seien, sich ihres eigenen Bootes zu bedienen und das letztere, nachdem es mit einem Mann zu Wasser gelassen worden, gleich vollgeschlagen und der Mann wieder an Deck gesprungen sei, hätten seine Leute gerufen „das geht nicht“. Das Boot habe damals zwischen den Fock- und Großwanten gelegen und nachdem es sich durch das Anstoßen an das Schiff in etwas entleert, sei ein anderer Mann in dasselbe hinein gesprungen, während die übrigen es mit Plankenden vom Schiffe frei zu halten gesucht hätten.

      Er habe nun gefragt, ob Niemand weiter hinein wolle, es habe sich aber keiner dazu bereit gefunden, wie er annehme, weil alle die Gefahr für zu groß gehalten und sich einstweilen auf den Wrack noch sicherer geglaubt, auch wohl noch immer gehofft hätten, daß der Engländer seine Boote senden werde. Seinen Leuten zu befehlen, in das Boot zu gehen, davon habe er bei der offenbar damit verbundenen großen Lebensgefahr Abstand genommen. Aus dem gleichen Grunde habe der Steuermann ihm abgerathen, in das Boot zu springen, als er sich hierzu angeschickt habe. Letzteres habe er indeß doch gethan, einestheils um seinen Leuten Muth zu machen und in der Hoffnung, daß Alle seinem Beispiele folgen würden und andererseits, um ihr einziges Boot, dessen die beiden darin befindlichen Leute nicht hätten Herr werden können, einem Zertrümmern an der Schiffswand zu bewahren.

      Allerdings habe er dabei auch mit an die Rettung seines eigenen Lebens gedacht, und wenn seine Leute weiter gezögert hätten, so würde er es im Nothfalle mit nur zwei Mann versucht haben, den Dampfer zu erreichen. Als das Boot beinahe bis zum Heck gefiert gewesen, sei es plötzlich vom Schiffe frei gekommen. Wie dies geschehen sei, ob durch Bruch der Fangleine oder dadurch, daß dieselbe losgeworfen worden, das habe er, da er mit dem Abhalten des Bootes vom Schiffe beschäftigt gewesen, nicht wahrgenommen; jedenfalls habe er den Befehl dazu nicht gegeben, und daß es gegen seinen Willen geschehen sei, gehe schon daraus hervor, daß er sich bemüht habe, wieder an die Bark heran zu rudern, um auch den Rest seiner Leute mitzunehmen.


    2. Damit im Widerspruch haben die sieben auf dem Wrack Zurückgebliebenen in ihrer Verklarung zum Protocolle des deutschen Generalconsulats zu London vom 9. December 1881 übereinstimmend folgendes erklärt:

      Nachdem das Boot heruntergelassen worden, sei zunächst der Matrose Hoppe in dasselbe hinein gegangen, um es auszuschöpfen, während die übrige Mannschaft vom Deck aus dasselbe mit Planken von dem Schiffe freigehalten habe. Schon damals habe der Schiffer versucht, ebenfalls in das Boot hinein zu steigen, der Steuermann jedoch zu ihm gesagt, er möge doch so lange an Bord bleiben, bis es lenz gemacht sei. Hierauf habe Schiffer Dade den Matrosen Kaegebein und der Steuermann den Matrosen Bonell in das Boot beordert und als dieselben diesem Befehl nachgekommen seien, sei der Schiffer ihnen mit den Worten: „Wenn keiner von Euch hinein will, dann gehe ich hinein!“ gefolgt.

      Es habe sich aber Niemand geweigert gehabt, in das Boot einzusteigen, vielmehr hätten Alle nur darauf gewartet, daß dasselbe lenz geschöpft sein werde, und Niemand habe gehört, daß der Schiffer den Befehl zum Einsteigen gegeben habe. Nachdem dann auch noch der Matrose Corrigan von Heck aus in das Boot hinein gesprungen, welches mit einer Leine an dem Schiffe befestigt gewesen sei, habe Schiffer Dade den Befehl gegeben, die Leine loszuwerfen. Vergebens habe der Bootsmann Stau vom Schiffe aus denen im Boote zugerufen, sie möchten dies nicht thun, der vorne in demselben stehende Matrose Bonell habe sich nach hinten und vorne umgesehen und dann die Leine gelöst, worauf das Boot auf den Dampfer zugetrieben sei.


    3. Der Bootsmann Stau ist auf diesseitige Requisition von dem Königlichen Amtsgericht zu Barth eidlich über den in Rede stehenden Vorgang vernommen worden. Seine Aussage geht dahin: Sie alle hätten beabsichtigt, in das Boot hinein zu gehen, sobald dasselbe ausgeöst sein werde. Zuerst sei Hoppe eingestiegen, dann auf Befehl des Schiffers, Kaegebein und dann auf Weisung des Steuermanns, Bonell; daß der Schiffer auch den übrigen das Einsteigen befohlen, habe er nicht gehört; jedenfalls sei es nicht wahr, daß Niemand weiter habe einsteigen wollen. Als Kaegebein und Bonell im Boote gewesen seien, habe auch der Schiffer sich in dasselbe begeben. Was er dabei geäußert, habe er nicht gehört.

      Jetzt habe Bonell begonnen, die das Boot mit dem Schiffe verbindende Leine zu lösen und dieselbe dann, nachdem er sich mehrere Male nach dem Schiffer umgesehen, und obgleich er, Zeuge, ihm zugerufen, er solle es nicht thun, los geworfen. Daß der Schiffer hierzu einen ausdrücklichen Befehl gegeben, habe er nicht gehört. Die im Boote befindlichen Leute hätten anscheinend mit einigen Ruderschlägen versucht wieder an das Schiff heran zu kommen, aber das sei selbstverständlich unmöglich gewesen.


    4. Der in der Hauptverhandlung zeugeneidlich vernommene Koch Landschulz endlich hat sich dahin ausgesprochen: Zuerst habe die Mannschaft des „Lohengrin“ allerdings gehofft, daß der Engländer seine Boote senden werde, und erst als sich diese Hoffnung als trügerisch erwiesen, hätten sie sich entschlossen, ihr eigenes Boot auszusetzen, da dasselbe aber sofort vollgeschlagen, so habe sich der eine Mann, welcher sich bereits darin befunden, wieder an Deck geflüchtet. Dann seien jedoch zwei andere Leute in das Boot gesprungen und hätten begonnen, dasselbe zu entleeren, während die übrigen es mit Brettern vom Schiffe abgehalten hätten. Jetzt habe plötzlich der Schiffer gerufen „wenn keiner hinein will, dann gehe ich hinein!“ und sei darauf auch seinerseits in das Boot gesprungen.

      Daß derselbe vorher die Mannschaft hierzu aufgefordert, habe er, Zeuge, nicht gehört. Der Schiffer habe nun vom Boote aus versucht, das letztere von dem Schiffe frei zu halten; da dies aber zu schwierig gewesen sei, so habe man das Boot, in welchen sich damals außer dem Schiffer bereits drei Mann befunden hätten, nach hinten gefiert. Als dies geschehen, sei auch der vierte Mann vom Heck aus hineingesprungen. Vorne im Boot habe Bonell gestanden und habe er gehört, wie der Schiffer diesem zweimal „let go“ zugerufen, worauf denn Bonell die Fangleine losgeworfen habe.

      Allerdings hätten die Insassen des Bootes noch versucht, zum Schiffe zurück zu rudern, da das aber nicht möglich gewesen sei, hätten sie sich auf den Engländer zu treiben lassen. Schiffer Dade erinnert sich nicht, dem Matrosen Bonell zugerufen zu haben „let! Go“ und versichert, daß er, wenn dies gleichwohl der Fall gewesen sein sollte, damit nur habe sagen wollen, man solle die Leine weiter ausfieren, damit das Boot der gefährlichen Nähe des Schiffes mehr entrückt werde.


  5. Ueber sein Verhalten an Bord des Dampfers „Glendevon“ am Abend des 19. und in der Nacht vom 19. zum 20. November 1881 endlich hat Schiffer Dade angegeben: Schiffer Hay habe ihn, als ihm das Bewußtsein zurückgekehrt sei, mit der Versicherung beruhigt, es sollten die Boote ausgesetzt werden, um den Rest seiner Mannschaft abzubergen, ihm demnächst aber erklärt, der Dunkelheit halber müsse er hier mit bis zum folgenden Tage warten. Zwischen 7 und 8 Uhr Abends habe er sich an Deck begeben und von dort aus das Flatterfeuer an Bord des „Lohengrin“ bemerkt. Der Dampfer habe mit dem Bug gegen den Wind gelegen und nur soviel Fahrt gemacht, um die nöthige Steuerkraft zu behalten. Krank und mangelhaft bekleidet habe er sich bald in die Cajüte zurückgezogen, in welcher er auch die Nacht über geblieben sei,


  6. Der Reichscommissar hat, gestützt auf §. 26 des Seeunfallgesetzes vom 27. Juli 1877, den Antrag gestellt, dem Schiffer Dade die Befugniß zur Ausübung des Schiffergewerbes zu entziehen und diesen Antrag folgendermaßen begründet: Zunächst scheine Schiffer Dade schon darin gefehlt zu haben, daß er Decklast gehabt habe, denn eine solche sei auf atlantischen Reisen, zumal in stürmischer Jahreszeit, stets gefährlich, wie denn vorliegend auch gerade durch sie der schwere Leck des Schiffes und damit dessen Verlust in erster Linie verursacht sein werde. Immer aber falle dem Schiffer in drei weiteren Punkten ein entschiedenes Verschulden zur Last.


    1. Die Ausrüstung des Schiffes bei Antritt der Reise sei keine vollständige gewesen, da sich nur ein Boot an Bord befunden habe, und was der Schiffer gethan haben wolle, um diesem Mangel abzuhelfen, reiche nicht aus, um ihn von dem Vorwurf ungenügender Fürsorge für die Sicherheit der Besatzung zu befreien.


    2. Beim Abbergen habe sich der Schiffer nicht mit der erforderlichen Ruhe, Ueberlegung und Entschlossenheit benommen. Vor allen Dingen habe es ihm obgelegen, für die Rettung seiner Leute zu sorgen, er habe daher das Schiff nur als der Letzte verlassen und überall nicht eher in das Boot gehen dürfen, als bis sein bestimmter an die Mannschaft gerichteter Befehl, sich in dasselbe zu begeben, unbefolgt geblieben wäre. Einen solchen Befehl habe er aber nicht ertheilt, auch nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre, sichere Vorkehr dafür getroffen, daß die Verbindung des Bootes mit dem Schiffe erhalten bleibe.


    3. Auch an Bord des britischen Schiffes sei ein erheblicher Mangel an Ueberlegung und Energie bei ihm hervorgetreten, insofern er sich um die Rettung der auf dem Wrack Zurückgebliebenen nur in geringem Maße bemüht und sich die ganze Nacht um deren Schicksal garnicht gekümmert habe.

      In allen sub 1 bis 3 beregten Punkten handele es sich um den Mangel von Eigenschaften, welche zur Ausübung des Schiffergewerbes erforderlich seien, und da die Folgen des vorliegenden Seeunfalls wenigstens großentheils auf diesen Mangel zurückgeführt werden müßten, so erscheine der auf Patententziehung gerichtete Antrag vollkommen gerechtfertigt.


  7. Was nun zunächst
    1. Das Fehlen der Schalupe anlangt, so gehören zweifelsohne zur vollständigen Ausrüstung eines Schiffes von über 200 britischen Register- Tons Netto-Raumgehalt mindestens zwei Boote, und war demnach die Ausrüſtung der Bark „Lohengrin“, als dieselbe ihre letzte Reise antrat, eine vollständige nicht zu nennen, wie sie Artikel 480 des Handelsgesetzbuches dem Schiffer zur Pflicht macht.

      Wenn aber Schiffer Dade zu seiner Entschuldigung angeführt hat, daß er in Beaver Doint kein anderes Boot habe bekommen können und ihm von seinem Befrachter mitgetheilt sei, daß auch in Dalhousie ein solches nicht zu haben sein werde, so hat das Seeamt diese seine Entschuldigung, welche in sich wahrscheinlich und jedenfalls nicht widerlegt ist, zu seinen Gunsten als wahr angenommen. Konnte er aber weder in Beaver Point noch in Dalhousie ein anderes Boot bekommen, dann gereicht es ihm nicht zum Vorwurf, daß er auch ohne ein solches in See ging; denn die Schalupe, ein kleines Boot, dessen man sich hauptsächlich für den Verkehr in den Häfen zu bedienen pflegt, war für die Reise selbst kaum von Bedeutung und es wäre daher nicht gerechtfertigt gewesen, wenn der Schiffer sich eine solche mit einem größeren Aufwande von Zeit und Geld von einem entfernten Platze hätte kommen lassen, oder wenn er mit Gefahr für sein Schiff einen anderen amerikanischen Hafen angelaufen wäre, um dort den Ankauf einer Schalupe zu versuchen, welche er im Bestimmungshafen mit Bestimmtheit und besser und billiger beschaffen konnte. Hier trifft also den Schiffer ein begründeter Tadel nicht.


    2. Als Ursache des vorliegenden Seeunfalles muß der Umstand betrachtet werden, daß sich die Bark am 16. November mit Wasser füllte, welches in Verbindung mit dem starken Seegang den allmäligen Aufbruch derselben zur Folge hatte. Dieser Umstand aber ist nach Ansicht des Seeamts einerseits darauf zurückzuführen, daß sich die Decklast bei dem starken Ueberholen des Schiffes gelöst hatte und die los gerissenen Hölzer die Stützen fortrissen und das Quarterdeck zertrümmerten, und andererseits darauf, daß die Bark in Folge des harten Arbeitens im Boden leck gesprungen war. Das bald den ganzen Raum anfüllende Wasser that dann das übrige, indem es die Luken aufsprengte und den ganzen Verband des Schiffes mehr und mehr lockerte.

      Ist somit der Unfall in erster Linie dem Lösen der Decklast beizumessen, so drängt sich die Frage auf, ob der Schiffer nicht darin Schuldvoll handelte, daß er überhaupt, zumal für eine Winterreise über den atlantischen Ocean, einen Theil der Ladung auf Deck unterbrachte. Diese Frage hat das Seeamt indeß verneinen müssen. Denn wenn auch das englische Seerecht Decklasten nur unter gewissen Beschränkungen gestattet, so enthält doch das deutsche Seerecht derartige Beschränkungen nicht, und da es bei deutschen Schiffen allgemein üblich ist, einen Theil der Holzladungen auch im Winter und auf atlantischen Reisen an Deck zu verstauen, so würde sich der Schiffer seiner Rhederei gegenüber verantwortlich gemacht haben, wenn er das Deck seines Schiffes unbenutzt gelassen hätte. Daß aber die Decklast mangelhaft befestigt gewesen wäre, ist in keiner Weise indicirt.


    3. Daß der Schiffer am 17. November die Masten kappen ließ, kann nur gebilligt werden; denn nur so war auf ein Zusammenhalten des bereits in der Auflösung begriffenen Schiffes, so lange bis sich eine Gelegenheit zum Abbergen der Besatzung bieten werde, zu hoffen.


    4. Was das Verhalten des Schiffers bei der Annäherung des Dampfers „Glendevon“ und nach Aussetzung des Bootes angeht, so hat sich das Seeamt der Auffassung des Reichscommissars nicht anzuschließen vermocht. Dasselbe hat in dieser Beziehung seiner Beurtheilung wesentlich die Aussagen des Schiffers zu Grunde gelegt, welche nach Lage der Sache glaubwürdig sind und auch in den sonstigen Ermittelungen hinreichende Unterstützung finden.


    • Es ist vollkommen begreiflich, daß die Mannschaft wenig geneigt war, sich des eigenen Bootes zu ihrer Abbergung zu bedienen, da die damit verknüpfte Gefahr offenbar eine sehr große war und das Wrack vorläufig noch mehr Sicherheit bot. Vom Koch Landschulz ist denn auch in der Hauptverhandlung bezeugt worden, daß dieselbe gehofft habe, der Engländer werde seine Boote senden, und es läßt sich annehmen, daß diese Hoffnung auch dann noch fortbestand, als die Besatzung bereits vom Dampfer aus bedeutet war, sie solle sich des eigenen Bootes bedienen.


    • Dem so entstandenen Zögern und Zaudern auf Seiten der Mannschaft, dessen Vorhandensein schon daraus erhellt, daß demnächst nicht etwa die alten und erfahrenen Leute, der Bootsmann und der Zimmermann, deren Pflicht es gewesen wäre, sondern nur einige der jüngeren Matrosen in das Boot gingen, – durch bestimmte hierauf gerichtete Befehle ein Ziel zu setzen und das Rettungswerk durch feste und klare Instruktionen zu regeln und zu sichern, war für den Schiffer nahezu unmöglich. In solchen Augenblicken, wo es sich um eine Abbergung unter höchster Lebensgefahr handelt, lockern sich erfahrungsmäßig auf Kauffahrteischiffen die Bande der Disziplin, das Commando der Offiziere findet keine Beachtung mehr, und jeder thut das, was ihm für die Erhaltung des eigenen Lebens geboten erscheint.

      Es kann dem Schiffer daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn er keinem seiner Leute befahl, den Todessprung in das Boot zu wagen, sondern sich darauf beschränkte, dieses Wagniß selbst zu übernehmen, um der Mannschaft so mit einem guten Beispiel voran zu gehen. Er that dies, wie das Seeamt annimmt, nicht etwa in der Absicht, das eigene Leben vor demjenigen seiner Leute zu retten, sondern hauptsächlich zu oben gedachtem Zwecke und daneben um das Boot, welches von den zwei oder drei darin befindlichen unerfahrenen Leuten bei dem furchtbaren Seegange nicht mit hinreichender Sicherheit gehandhabt werden konnte, vor einem Zerschellen an der Schiffswand zu bewahren.

      Hiermit steht auch seine Aeußerung, „wenn keiner hinein will, gehe ich hinein“, durchaus im Einklang, welche unter den obwaltenden Umständen nur dahin verstanden werden kann, daß wenn niemand freiwillig sein Leben wagen wolle, um die Rettung der Besatzung durch das Boot zu ermöglichen, er dies für seine Pflicht erachten müsse. Das Seeamt ist der Meinung, daß jeder andere Schiffer in gleicher Lage ebenso gehandelt haben würde.


    • Anlangend das Loswerfen des das Boot mit dem Schiffe verbindenden Taues, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß dasselbe vom Boote aus geschehen ist. Dagegen ist nicht erwiesen, daß Schiffer Dade ausdrücklich oder stillschweigend den Befehl dazu gegeben hat. Wenn der Bootsmann Stau bezeugt, daß der Matrose Bonell, ehe er die Leine in Boot gelöst, sich mehrere Male nach dem Schiffer umgesehen habe, so steht doch keineswegs fest, daß dieser solches bemerkt, geschweige denn, daß er durch irgend ein Zeichen seine Zustimmung zu erkennen gegeben habe. Und wenn Koch Landschulz bekundet, das Tau sei auf den wiederholten Ruf des Schiffers: „let go!“ losgeworfen worden, so ist es durchaus wahrscheinlich, daß der Schiffer mit diesem Rufe nur ein weiteres Weg fieren des Bootes hat bezielen wollen.

      Andererseits aber spricht nichts dafür, daß der Schiffer beabsichtigt habe, allein mit den vier übrigen Insassen des Bootes davon zu fahren und den Rest der Mannschaft auf dem Wrack zurück zu lassen. Denn das Boot konnte ebenso gut zwölf Mann wie fünf Mann aufnehmen, und auch sonst ist nichts erfindlich, was ihn zu einem solchen Entschlusse hätte bewegen können. Dagegen muß aus dem gleichmäßig von Stau und Landschulz bezeugten Umstande, daß der Schiffer nach dem freiwerden des Bootes versucht habe, zur Bark zurück zu rudern, auf das gerade Gegentheil geschlossen werden, und gestützt auf diesen Umstand nimmt das Seeamt als erwiesen an, daß das, das Boot mit dem Schiffe verbindende Tau ohne den Willen des Schiffers losgeworfen worden ist,


    • An Bord des Dampfers hat Schiffer Dade sich allerdings bei der Versicherung des Führers desselben, die Rettung seiner auf dem Wrack zurückgebliebenen Leute sei augenblicklich der eingetretenen Dunkelheit halber nicht möglich, solle aber am nächsten Morgen versucht werden, beruhigt und die Nacht über in der Cajüte zugebracht, ohne sich darum zu kümmern, ob sich der Dampfer in steter Nähe des Wracks halte oder nicht. Allein ein Vorwurf ist ihm hieraus nach Ansicht des Seeamts nicht zu machen.

      Denn einmal lassen sich die Führer englischer Schiffe erfahrungsmäßig in ihre Anordnungen nicht gerne hinein reden, und sodann bedarf es keiner weiteren Ausführung, daß Schiffer Dade, nachdem er bereits mehrere Tage und Nächte auf dem Wrack in Lebensgefahr zugebracht hatte und darauf bewußtlos an Deck des „Glendevon“ gezogen war, sich in einem Zustande äußerster Erschöpfung befunden haben muß. Wenn er daher, anstatt die Nacht an Deck zu bleiben, in die Cajüte ging und dort vom Schlafe übermannt wurde, so findet das in den erwähnten Umständen seine ausreichende Entschuldigung.


  8. Wenn nach den Ausführungen in ratio VII Schiffer Dade weder den Unfall noch dessen Folgen verschuldet hat, auch bei ihm ein Mangel solcher Eigenschaften, welche zur Ausübung des Schiffergewerbes erforderlich sind, nicht hervorgetreten ist, insbesondere weder bezüglich der Ausrüstung seines Schiffes noch bezüglich seines Verhaltens während der Reise und an Bord des Dampfers ihm ein gegründeter Vorwurf mangelnder Umsicht, Fürsorge und Energie hat gemacht werden können, so mußte, wie geschehen, der auf Patententziehung wider ihn gerichtete Antrag des Reichscommissars abgelehnt werden.


  9. Das Verhalten des Schiffers Hay vom Dampfer „Glendevon“ hat dagegen das Seeamt für ein vorwurfsfreies nicht erachten können. Wollte er, wie er verheißen, die auf dem Wrack zurückgebliebenen Schiffbrüchigen am Morgen des 20. November abbergen, so mußte er in deren Nähe bleiben. Wenn er aber die Nacht hindurch NW Curs hielt, während die Bark nach SO forttrieb, so war es von vorne herein klar, daß am anderen Morgen eine weite Entfernung zwischen beiden Schiffen liegen mußte. Will das Seeamt auch nicht geradezu behaupten, daß Schiffer Hay die Abbergung gar nicht ernstlich beabsichtigt habe, so erscheint wenigstens ein Zweifel an der Ernstlichkeit seiner Absicht vollkommen berechtigt.




  1. Er habe, nachdem ihm vor Antritt der letzten Reise in Amerika die zum „Lohengrin“ gehörige Schalupe abhanden gekommen war, sich nicht ernstlich bemüht, für die Anschaffung einer andern Schalupe zu sorgen, sondern die Reise ohne eine solche angetreten. Ein Schiff von der Größe des „Lohengrin“ müsse für den Fall, daß es auf See in Noth gerathe, mit mehr als einem Boot versehen sein. Als der Schiffer Dade mit vier Begleitern den „Lohengrin“ in dem einzigen Boot des letzteren verlassen habe, würden die zurückgebliebenen sieben Mann sicher alles daran gesetzt haben, an den nicht weiter als zwei Kabellängen von ihnen entfernten „Glendevon“ zu gelangen, wenn sie nur überhaupt eine Schalupe gehabt hätten.

    Es kann dahingestellt bleiben, ob der Schiffer Dade seine Versuche, einen Ersatz für die ihm abhanden gekommene Schalupe zu beschaffen, so weit fortgesetzt hat, daß die Erlangung eines solchen Ersatzes in dem Abgangshafen als eine Unmöglichkeit angesehen werden mußte; denn der Erwerb einer neuen Schalupe würde für die Beurtheilung seines Verhaltens nur dann von Erheblichkeit gewesen sein, wenn sich annehmen ließe, daß dies Fahrzeug von den erwähnten sieben Personen am 19. November 1881 zu ihrer Rettung hätte benutzt werden können. Diese Annahme erscheint völlig ausgeschlossen. Das Boot, welches der „Lohengrin“ an diesem Tage noch besaß, war so groß, daß es die ganze Besatzung desselben aufnehmen konnte; nicht einmal dieses Fahrzeug hat dem heftigen Wind und Seegang Widerstand leisten können, als es die Ueberfahrt von dem „Lohengrin“ nach dem „Glendevon“ machte; es ist, ehe es den letzteren völlig erreicht hatte, zerschellt, so daß die darin befindlichen Personen ins Wasser stürzten und zwei von ihnen umkamen.

    Es ist deshalb durchaus unwahrscheinlich, daß bei so bewegter See eine Schalupe die sieben Zurückgebliebenen an Bord des „Glendevon“ hätte bringen können; weit eher ist anzunehmen, daß diese untergegangen wären, wenn sie mit einem solchen Fahrzeug die Ueberfahrt gewagt hätten, während sie dadurch, daß sie auf dem „Lohengrin“ blieben, wenigstens am Leben erhalten worden sind. Der Mangel einer Schalupe hat daher für die Besatzung des „Lohengrin“ keinen Nachtheil zur Folge gehabt; es kann mithin darauf, daß dies Ausrüstungsstück gefehlt hat, ein Vorwurf gegen den Schiffer Dade nicht gegründet werden.


  2. Die Beschwerde rügt, daß der Schiffer Dade bei der Annäherung des „Glendevon“ nicht an Bord seines Schiffes geblieben sei, sondern dasselbe als einer der ersten verlassen habe, anstatt mit Ruhe und Besonnenheit die Abbergung seiner Mannschaft zu leiten. Das Nächstliegende wäre gewesen, das in die See hinabgelassene, alsbald aber voll Wasser geschlagene Boot ausösen zu lassen und dann das Besteigen desselben durch die Mannschaft so zu dirigiren, daß so viele in das Boot gingen, als dieses bei dem hohen Seegang tragen konnte. Wären nicht sämmtliche Leute mit einem Male abzubergen gewesen, so hätte der Schiffer bei den Zurückbleibenden ausharren sollen. Das vom Schiffer beobachtete Verfahren zeuge von Unbesonnenheit und Unentschlossenheit.

    Das Handelsgesetzbuch Artikel 484 verpflichtet den Schiffer, bei drohender Gefahr an Bord zu sein, sofern nicht eine dringende Nothwendigkeit seine Abwesenheit rechtfertigt. Nur unter dieser letzteren Voraussetzung darf der Schiffer, wenn sein Schiff von einem Unfall betroffen wird, dasselbe verlassen; zwingt ihn keine dringende Nothwendigkeit dazu, so muß er nach einem Unfall auf dem Schiffe ausharren, bis die gesammte Mannschaft sich aus demselben entfernt hat. Es fragt sich, ob am 19. November 1881 für den Schiffer Dade eine dringende Nothwendigkeit vorlag, in Begleitung dreier Matrosen und eines Jungmanns den „Lohengrin“ zu verlassen, die übrigen sieben Schiffsleute aber auf demselben zurückzulassen.

    Als der „Glendevon“ in Sicht kam und es ablehnte, seinerseits ein Boot zur Abholung der Besatzung des „Lohengrin“ auszusetzen, blieb der letzteren nur die Wahl, entweder in ihrem Boot zu versuchen, ob sie den „Glendevon“ erreichen könne, oder auf dem „Lohengrin“ zu bleiben. Der Schiffer Dade entschloß sich, jenen Versuch zu wagen und dieser Entschluß kann nur gebilligt werden. Denn bei der heftigen Bewegung, in welcher Luft und Meer sich am 19. November 1881 befanden, konnte Niemand erwarten, daß der „Lohengrin“, welcher damals bereits wrack war, noch bis zum 24. November nothdürftig zusammenhalten würde; nach menschlicher Voraussicht war vielmehr anzunehmen, daß er alsbald auseinanderfallen würde.

    Die Fahrt mit dem Boot nach dem „Glendevon“ war zwar sehr gefährlich, aber sie gewährte wenigstens eine Möglichkeit der Rettung, während im Falle des Verbleibens auf dem „Lohengrin“ der baldige Untergang sicher vor Augen zu stehen schien. In dieser Weise mußte ein Mann die Sachlage beurtheilen, welcher kaltblütig und umsichtig die vorliegenden Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten gegen einander abwog, und in dieser Weise hat sie der Schiffer Dade beurtheilt. Sein Entschluß, im Boot mit der Mannschaft den „Lohengrin“ zu verlassen, war daher völlig gerechtfertigt. Aber darin hat er gefehlt, daß er nicht der ganzen Mannschaft befahl und sie nöthigen falls zwang, mit ihm das Boot zu besteigen. Zu solchem Befehl und zu solchem Zwang hatte er um so mehr Anlaß, als, wie er selbst angiebt, das Boot nicht nur die ganze Besatzung fassen konnte, sondern auch mit zwölf Personen sicherer als mit fünf über See zu bringen gewesen wäre, und als die sieben schließlich an Bord Zurückgebliebenen wenig Neigung hatten, sich der von ihnen für sehr gefahrvoll gehaltenen Fahrt im Boote anzuschließen.

    Letzteres geht daraus hervor, daß nur einer von ihnen, der Bootsmann Stau, einen Versuch gemacht hat, in das Boot zu gelangen, daß aber dieser sich zuvor erst Oelkleider angezogen und, nachdem er bei dem Versuch bis an den Hals ins Wasser gekommen, denselben aufgegeben hat, und daß die übrigen sechs sich lediglich damit beschäftigt haben, mit Planken von Bord aus das Boot vom Schiffe abzuhalten, damit es an dein letzteren nicht zerschelle. Diesem unentschlossenen Zögern gegenüber wäre es die Pflicht des Schiffers gewesen, der gesammten Mannschaft das Einsteigen in das Boot bestimmt zu befehlen; die Seemannsordnung §. 79 berechtigte ihn zur Anwendung aller Mittel, um diesem Befehl Gehorsam zu verschaffen.

    Der Schiffer hat nicht Energie genug besessen, in dieser Weise vorzugehen; er hat sich des Befehls und des Zwanges vielleicht in Rücksicht darauf enthalten, daß die Zurückbleibenden die Mehrheit der Besatzung bildeten; er hat damit jedenfalls gegen seine Pflicht gefehlt. Das Seeamt entschuldigt dies Verhalten, indem es bemerkt, daß in Augenblicken, in denen es sich um eine Abbergung unter höchster Lebensgefahr handle, sich auf Kauffahrteischiffen die Bande der Disziplin lockern und das Commando der Offiziere keine Beachtung mehr finde, sondern jeder thue, was ihm für die Erhaltung des eigenen Lebens geboten erscheine. Derartiges mag sich in einigen vereinzelten Fällen zugetragen haben; aber im allgemeinen ergiebt die Erfahrung im Gegentheil, daß gerade in Zeiten höchster Gefahr die Schiffer der Regel nach, wenn sie selbst volle Ruhe und Entschlossenheit zeigen, sicher auf den unbedingten Gehorsam der Schiffsleute rechnen können.

    Jenen Entschuldigungsgrund kann man daher in diesem Falle, in welchen nicht einmal der Versuch eines Befehls gemacht worden ist nicht gelten lassen. Nachdem aber der Schiffer darauf verzichtet hatte, die erwähnten sieben Personen gegen ihre Neigung in das Boot zu bringen, kann es ihm, wie die Verhältnisse nunmehr lagen, nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er sich zu den vier andern Schiffsleuten in das Boot begab und mit ihnen den „Glendevon“ zu erreichen suchte. Denn wenn dies gelang, so konnte er hoffen, daß er im Verein mit dem Führer dieses Schiffes im Stande sein werde, auch noch die sieben Zurückgebliebenen zu retten; blieb er aber bei den letzteren auf dem Wrack und ließ er die vier im Boote befindlichen Schiffsleute allein und ohne erfahrene Leitung den Versuch unternehmen, den „Glendevon“ zu erreichen, so gab er die Rettung der Besatzung des „Lohengrin“ völlig dem Zufall preis und schnitt sich jede Möglichkeit ab, etwas für dieselbe zu thun.

    Es war deshalb durch die Verhältnisse geboten, daß der Schiffer Dade am 19. November 1881 mit denjenigen Schiffsleuten, welche zu seiner Begleitung bereit waren, den „Lohengrin“ verließ; nur hätte er dabei nicht den Fehler begehen sollen, es dem Belieben der einzelnen Schiffsleute zu überlassen, ob sie ihn begleiten wollten, sondern er hätte der gesammten Mannschaft die Mitfahrt befehlen sollen. Die Pflichtversäumniß, deren sich der Schiffer Dade hierbei schuldig gemacht hat, ist auf einen Mangel an Entschlossenheit zurückzuführen, welcher ihn abhielt, seine Untergebenen zur Theilnahme an einem nothwendigen, aber sehr gefährlichen Rettungsversuch zu zwingen. Dieser Mangel ist ein schwerwiegender; dennoch aber läßt sich aus ihm im vorliegenden Falle ein Anlaß, dem Schiffer Dade die Gewerbebefugniß zu entziehen, nicht entnehmen.

    Denn noch an demselben Tage hat dieser Gelegenheit gehabt, einen Beweis seiner Entschlossenheit zu geben, durch welchen jene Pflichtversäumung völlig aufgewogen wird. Nach dem glaubhaften Zeugniß des Schiffers Hay, welcher den „Glendevon“ führte, zerschellte das erwähnte Boot, als es an diees Schiff herankam und die darin befindlichen Personen stürzten ins Meer; vom „Glendevon“ aus warf man ihnen zwei Rettungsbojen zu; Dade erfaßte diese, gab sie aber an zwei seiner Matrosen ab, so daß er selbst ertrunken wäre, wenn sich nicht zufällig das an den Bojen befestigte Tau um seinen Fuß gewickelt und es ermöglicht hätte, ihn im bereits bewußtlosen Zustande an Bord des „Glendevon“ zu ziehen.

    Dade hat danach in dem Augenblick, in welchem er das Mittel in der Hand hatte, sich aus der unmittelbaren Todesgefahr zu retten, das Leben seiner Gefährten höher als sein eigenes geachtet; er hat auf seine Rettung verzichten wollen, um die Rettung seiner Begleiter zu ermöglichen. Ein solches Verhalten beweist, daß die Unentschlossenheit, welche Dade an Bord des „Lohengrin“ gezeigt hatte, nur eine vorübergehende gewesen ist und ihm keinesfalls als dauernder Charakterfehler anhaftet.


  3. Die Beschwerde macht dem Schiffer Dade zum Vorwurf, daß er nach seiner Ankunft an Bord des „Glendevon“, und nachdem er sich von den Nachwirkungen der überstandenen Todesgefahr etwas erholt hatte, nicht ernstlicher als geschehen den Schiffer Hay zur Sicherstellung der Rettung der auf dem „Lohengrin“ zurückgebliebenen Mannschaft zu bestimmen gesucht hat.

    Dade hat von Hay die Zusage verlangt und erhalten, daß dieser, da am 19. November 1881 wegen der inzwischen eingetretenen Dunkelheit ein Rettungsversuch unausführbar erschien, während der Nacht mit dem „Glendevon“ in der Nähe des „Lohengrin“ bleiben und am folgenden Morgen die Rettung unternehmen wolle. Daraus, daß Dade sich mit dieser Zusage begnügt und weitere Vorstellungen bei Hay unterlassen hat, kann ein Anlaß ihn zu tadeln nicht entnommen werden.

    Wie sich die Verhältnisse des Windes und der See am 19. November gestaltet hatten, wäre es nach Einbruch der Dunkelheit schwerlich gelungen, die auf dem „Lohengrin“ befindlichen Personen in Sicherheit zu bringen; zu einem Zweifel daran aber, daß Hay am folgenden Morgen alles aufbieten werde, seine Zusage zu erfüllen, lag kein Grund vor. Hätte Dade einem solchen Zweifel dadurch Ausdruck gegeben, daß er Hay wiederholt an das gegebene Versprechen erinnerte, so würde er von dem, was in solchen Lagen unter den Schiffern Brauch ist, abgewichen sein und sich dem Vorwurf eines ungerechtfertigten Mißtrauens ausgesetzt haben. Der Beschwerde kann unter diesen Umständen nicht folge gegeben werden. Die baaren Auslagen des Verfahrens bleiben außer Anlaß, weil die Beschwerde vom Reichscommissar eingelegt ist.


zurück zur Auswahl