Elsa 1887 | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark „Elsa"



  1. In heutiger Hauptverhandlung ist auf Grund


    1. des Schiffsjournals der Bark „Elsa“,

    2. des notariellen Protestes derselben d. d. London 10. Juni 1887,

    3. der unbeeidigten Angaben des Schiffers Fretwurst und der Steuerleute Niemann und Gombert, sowie der eidlichen Aussagen des Zimmermanns Reich, der Matrosen Hinzmann und Kraeft und des Jungmanns A. Reich von der Besatzung der „Elsa“ zu den Protokollen des deutschen General Consulats zu London vom 10. Juni 1887 und des hiesigen Seeamts vom 14. desselben Monats,

    4. des notariellen Protestes des Dampfers „Marques de Mudela” d. d. Portsmouth 9. Juni 1887 und

    5. einer Verhandlung vor dem Admiralitätsgericht zu London vom 27. und 28. April v. I.

    6. das Nachstehende thatsächlich festgestellt.

      • Am 1. Mai 1887 verließ die in Rostock beheimathete und vom Schiffer Friedrich Fretwurst aus Daendorf geführte Bark „Elsa“, Unterscheidungssignal MCSW, ein in den Jahren 1871/72 in Rostock aus Eichenholz erbautes, zu 1365,8 cbm = 482,13 britischen Register Tons Netto-Raumgehalt vermessenes, gut erhaltenes Schiff, welches sowohl bei Veritas als auch bei den Germanischen Lloyd Klasse hatte, Wilmington mit einer nach London bestimmten Ladung Harz. Die Ausrüstung war, soweit ermittelt, vollständig und gut, und die Mannschaft, zu welcher die beiden geprüften Steuerleute Hans Niemann aus Ahrenshoop und Wilhelm Gombert aus Casnewitz auf Rügen gehörten, bestand aus 10 Personen.

        Die Reise, welche nur langsam von Statten ging, verlief bis zum 7. Juni ohne Unfall. Die Bark befand sich am Abend dieses Tages im Kanal unweit Beachy-Head. Der Wind, welcher Vormittags südlich gewesen war, wehte jetzt mit schwacher Brise aus West und die Bark steuerte OzN. Die Luft war dick von Nebel. Abends 9 Uhr 15 Minuten collidirte die Bark mit dem auf der Reise von Newcastle nach Bilbao mit einer Ladung Coaks begriffenen, an letzterem Platze beheimatheten spanischen Dampfer „Marques de Mudela”, Schiffer Santiago Rasche.

        Der Dampfer, ein Schiff von 1241 Register-Tons Netto-Raumgehalt, traf die Bark mit seinem Vordersteven an deren Backbordseite beim Fockwant und durchschnitt sie bis zur Vorderluke, kam jedoch gleich darauf wieder von ihr frei. Von der Mannschaft der Bark waren 4 Leute unmittelbar nach dem Zusammenstoß auf den Dampfer übergeentert. Die übrige Besatzung derselben machte sich, da die „Elsa“ schnell sank, auf Befehl des Schiffers Fretwurst sofort daran, ein Boot auszusetzen, was auch gelang, und begab sich in letzterem ebenfalls an Bord des in geringer Entfernung haltenden Dampfers. Damals lag die Bark beinahe mit dem Deck eben Wasser und ehe noch die Schiffbrüchigen den Dampfer erreicht hatten, legte sie sich nach Badbordseite über.

        Von Bord des Dampfers aus, welcher noch bis Nachts 1 Uhr in ihrer Nähe blieb, sah man die Bark allmälig soweit sinken, daß die Steuerbordseite, mit welcher sie nach oben lag, beinahe vom Wasser über spült wurde. Als es im Verlaufe des Abends etwas aufklarte, peilte man Royal Sovereign Shoals-Feuer in WzS ungefähr 5 bis 6 Seemeilen ab. Nachts 1 Uhr setzte der Dampfer, welcher nicht länger warten wollte, seine Reise fort und landete die Schiffbrüchigen, welche von ihren Effecten nichts hatten bergen können, am Abend des 8. Juni in Portsmouth.


      • Sowohl in der Verklarung als auch zum Journal und in ihren damit übereinstimmenden Aussagen vor dem General-Consulat zu London und dem Seeamt hat

        • die Besatzung der Bark die der Collision vorauf gehenden Vorgänge folgendermaßen dargestellt:
          Am 7. Juni 1887 trat Nachmittags 5 Uhr Nebel ein, der kaum erlaubte, 4 Schiffslängen weit zu sehen. Schiffer Fretwurst ließ alle Segel bis auf die Marssegel wegnehmen, sodaß die Bark nur noch 3½ Knoten Fahrt behielt, und alle 2 Minuten 3 aufeinanderfolgende Töne mit dem Nebelhorn geben. Das letztere war von Metall und in gutem Stande. Daß mit demselben jedesmal 3 Töne gegeben sind, ist von dem Matrosen P. Kraeft bei dessen Vernehmung vor dem Seeamt ausdrücklich eidlich bekundet.

          Von Abends 8 Uhr an hatte Schiffer Fretwurst zusammen mit dem zweiten Steuermann Gombert die Wache auf Deck. Gleich bei Beginn derselben ließ er die Seitenlaternen anzünden, welche hell brannten und, da sie hinten auf je einem Brette hinausgeschoben waren, von den Segeln nicht verdeckt werden konnten. Matrose P. Kraeft stand am Ruder, Matrose Hinzmann auf dem Ausguck. Etwa 9 Uhr 15 Minuten Abends hörte die Deckswache grade voraus das Nebelsignal eines Dampfers.

          Steuermann Gombert, welcher nach vorne geeilt war, erkannte gleich darauf das weiße Toplicht und das rothe Seitenlicht desselben etwa 1 Strich an Backbordseite und rief Schiffer Fretwurst, welcher sich auf dem Quarterdeck befand, zu, daß alles klar gehen werde, da das rothe Licht des Dampfers an Backbordseite zu sehen sei. Der Dampfer war der „Marques de Mudela“. Beide Schiffe standen damals nur noch ungefähr 4 Schiffslängen von einander.

          Die Bark hielt ihren Curs zunächst unverändert fest, der Dampfer aber änderte, als er etwa 6 bis 7 Strich an Backbordseite der Bark und nur noch ungefähr 2 Schiffslängen von derselben abstand, plötzlich den seinigen, welcher bisher westlich gewesen war, nach Süd, sodaß nunmehr sein grünes Licht gesehen wurde, und da ihn jetzt eine Collision unvermeidlich zu sein schien, lief Schiffer Fretwurst das Ruder der Bark hat nach Backbord legen, um thunlichst in den Curs des Dampfers einzudrehen und so die Wucht des Zusammenstoßes nach Möglichkeit abzuschwächen. Die Bark fiel denn auch einige Striche nach Steuerbordseite ab, ward dann aber von dem Dampfer an Backbordseite beim Fockwant angerannt.


        • Schiffer Santiago Rasche vom Dampfer „Marques de Mudela“ weicht in seinem notariellen Protest d. d. Portsmouth 9. Juni 1887 von obiger Darstellung in einigen wesentlichen Punkten ab. Seine Aussage, welche unbeschworen ist, geht dahin:
          „Nachdem der Dampfer am 6. Juni Newcastle verlassen, sei am Nachmittage des 7. Juni dichter Nebel aufgekommen, weshalb von Abends 7 Uhr 15 Minuten an die Fahrt gemindert und alle 2 Minuten ein Signal mit der Dampfpfeife gegeben sei. Die vorschriftsmäßigen Lichter hätten hell gebrannt. Abends ungefähr 9 Uhr 45 Minuten habe man an Bord des Dampfers grade voraus das Nebelhorn eines Segelschiffes zweimal hinter einander ertönen hören, die Lichter des letzteren jedoch nicht sehen können.

          Noch mehrere Male habe das Segelschiff jenes Signal wiederholt, worauf der Dampfer immer mit der Dampfpfeife geantwortet habe. Da der Wind westlich gewesen sei, so habe er, der Schiffer, aus den 2 hintereinander folgenden Tönen, welche mit dem Nebelhorn des Segelschiffes gegeben seien, geschlossen, daß das selbe nach Norden steuere. Gleich darauf habe er den Rumpf jenes Segelschiffes an Steuerbordseite erblickt und nun den Dampfer soweit als möglich nach Backbord bringen lassen.

          Da aber das Segelschiff jetzt nach Steuerbord gegangen und, weil es eine Menge Segel stehen gehabt habe, zu schnell herangekommen sei, so habe man den Dampfer garnicht ganz nach Backbord bringen können, und sei nun der Zusammenstoß beider Schiffe erfolgt, bei welchem der Dampfer an Steuerbordseite 3 Fuß über Wasser ein Loch davongetragen habe. Bis gegen 2 Uhr Morgens sei er in der Nähe des nach Backbordseite übergefallenen Segelschiffes geblieben, als er dasselbe dann aber nicht weiter gesehen, habe er die Reise fortgesetzt und dessen bei ihm an Bord gekommene Besatzung in Portsmouth gelandet.“


      • Die Rhederei der Bark hat gegen diejenige des Dampfers vor dem Admiralitätsgericht zu London einen Prozeß wegen Schadensersatzes geführt, welcher zu Gunsten der Bark entschieden ist. Das Admiralitätsgericht verwarf Inhalts eines in der “Mercantile and Shipping Gazette” enthaltenen, die Verhandlung vor jenem Gericht betreffenden Artikels den Einwand des Dampfers, daß von der Bark anstatt 3 nur je 2 Töne mit dem Nebelhorn gegeben seien, als in sich unwahrscheinlich und durch die entgegenstehenden Aussagen der zur Besatzung der Bark gehörenden Zeugen widerlegt, sprach die letztere von jedem Verschulden frei und belastete den Dampfer mit dem Vorwurf, daß er trotz des Nebels mit einer Geschwindigkeit von 5 ½ bis 6 Knoten gefahren und damit gegen die Vorschriften des internationalen Straßenrechts auf See gefehlt habe.


  2. Das Seeamt bezweifelt nach der thatsächlichen Feststellung sub I. A. nicht, daß die schwer beschädigte Bark demnächst gesunken ist. Für die Beurtheilung des Falles macht dasselbe die von der Besatzung jenes Schiffes gegebene, sub I. B. a. referirte Darstellung grundleglich. Die letztere stimmt nicht nur mit dem Journal überein, sondern ist auch in sich wahrscheinlich und von 4 Personen der Mannschaft eidlich bekräftigt. Unterstützt wird sie endlich durch den Ausgang des von den beiderseitigen Rhedereien vor dem Admiralitätsgericht in London geführten Prozesses, welchen die Rhederei der Bark gewonnen hat. Nach dieser Darstellung hat die Bark die Vorschriften der dem internationalen Straßenrecht auf See entsprechenden Kaiserlichen Verordnung vom 7. Januar 1880 strenge eingehalten. Sobald die Luft dick von Nebel geworden war, hat sie ihre Fahrt durch Weg nehmen von Segeln bis auf 3 Knoten gemindert.

    Weiter hat sie die gesetzlich erforderlichen Schallsignale mit dem Nebelhorn gegeben und zwar, da sie vor dem Winde segelte, gemäß der Bestimmung im Artikel 12 Abs. 2 sub b alle 2 Minuten 3 auf einander folgende Töne. Sie hat endlich, wie es Artikel 22 verlangt, ihren Curs so lange festgehalten, bis der Dampfer den seinigen nach Süden veränderte und eine unmittelbare Gefahr des Zusammenstoßes vorlag. Wäre sie auch jetzt noch in ihrem bisherigen Curse verblieben, so mußte nothwendig eine Collision und zwar wahrscheinlich Steven auf Steven erfolgen, während sie mit Backbordruder hoffen konnte, in den Curs des Dampfers einzudrehen und so den Zusammenstoß, wenn nicht ganz zu vermeiden, so doch erheblich in seiner Wucht abzuschwächen.

    Ihr Abweichen von dem bisherigen Curse erscheint daher nach Artikel 23 der angezogenen Verordnung vollkommen gerechtfertigt. Wenn sich somit die Bark durchaus innerhalb der gesetzlichen Vorschriften gehalten hat, so kann der Führung derselben keine Schuld an dem Unfalle beigemessen werden, welcher offenbar dadurch verursacht ist, daß sich des Nebels halber beide Schiffe zu spät sahen und dann von dem Dampfer ein unter den obwaltenden Umständen falsches Rudercommando gegeben wurde. Ob die Führung des Dampfers eine Schuld trifft, darüber steht den Seeamte, da derselbe kein deutsches Schiff ist, eine Entscheidung nicht zu. Daß Schiffer Fretwurst unter Preisgebung seiner eigenen Effecten bei der unter gefährlichen Umständen erfolgten Abbergung das Schiffsjournal gerettet hat, verdient nach Ansicht des Seeamts hohe Anerkennung.


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