Eleonoer von Flotow

Seeunfall der Brigg „Eleonore von Flotow"



  1. dass die Beschädigungen, welche das Schiff auf seiner im Herbst 1879 unternommenen Reise von Archangel nach Bordeaux erlitten und welche zu dessen Condemnirung in Lerwick geführt haben, durch das Aufstossen desselben auf die Barre vor der Ausmündung der Dwina und die darauf folgenden orkanartigen Stürme verursacht sind.

  2. dass ein Verschulden an denselben weder dem Schiffer noch der Mannschaft beizumessen ist,

  3. dass die Brigg in Folge der erlittenen Schäden reparaturunwürdig war,

  4. dass die Journalisirung der letzten Reise derselben insofern eine ungenügende gewesen ist, als die Wasserstände bei den Pumpen nicht vorschriftsmässig zum Journal eingetragen sind.

  5. Gründe.
    1. Die Brigg „Eleonore von Flotow“ ist in den Jahren 1856/57 zu Ribnitz für Rechnung des Schiffers A. H. Ahrens zu Dändorf aus eichenen Holz erbaut und im Jahre 1873 hier in Rostock zu 305,10 britischen Register-Tons vermessen. Der Schiffer Ahrens hatte dieselbe bis zuletzt geführt und war Inhaber von 39/128 Parten, mit denen er zu 12.000 M versichert war, während die fast ein Viertheil des ganzen Schiffes betragenden Antheile seiner Familie unversichert geblieben waren.

    2. Ihre letzte Reise machte die Brigg im Jahre 1879 von Archangel nach Bordeaux mit einer Ladung kieferner Bretter, welche den ganzen Raum ausfüllten und von denen noch ein Theil als Decklast verstaut war. Die Besatzung des Schiffes bestand einschliesslich des Schiffers Ahrens und des geprüften Steuermanns Paul Hagemeister aus 10 Mann. Die Ausrüstung war, soweit ermittelt worden, vollständig und gut.


    3. Die Reise verlief nach den Aufzeichnungen zum Schiffsjournal, der Verklarung des Schiffers und der Mannschaft d. d. Lerwick 17. October 1879, den Angaben des Schiffers, des Steuermanns Hagmeister, des Kochs Steinbeck und der Matrosen Krohn und Dedow zu den Protocollen des Seeamts vom 23. Januar, 20. Juli und 7. October 1880, sowie nach der Zeugeneidlichen Erklärung des Archangeler Lootsen Dmitry Jekinoff Urpin zu den Protocollen des Capitain Mordowin, Vorstehender hydrographischen Abtheilung zu Archangel, vom 14. März und 29. Juli 1880 folgendermassen.

      Am 4. September 1879 lichtet die Brigg im Hafen von Archangel die Anker und segelte unter Commando des Lootsen Dmitry Urpin, eines Zwangslootsen, mit südlichem Winde die Dwina hinunter dem Weissen Meere zu, musste aber eines einfallenden Sturmes halber wieder eine Strecke zurückgehen und bis zum 10. September ankern. An diesem Tage gestalteten sich Wind und Wetter günstiger und die Brigg schickte sich an, die vor der Ausmündung der Dwina befindliche Barre zu passiren. Der Telegraph auf dem Mudjugsko Feuerthurm, welcher den Wasserstand auf der Barre anzeigt, verkündete 14 Fuss 6 Zoll Wasser, während die Brigg vorne 14 Fuss und hinten 14 Fuss 3 Zoll tief lag. Der Lootse hielt den Wasserstand für genügend und ordnete den Uebergang an, als die Brigg aber die Barre passirte, stiess sie mehrere Male kurz hintereinander schwer durch, so dass die Masten erzitterten, ohne jedoch fest zu kommen oder nur aus dem Curs zu laufen.

      Der Commandeur des Archangeler Hafens, Capitain 1. Ranges Fürst Uchtomsky, und der bereits oben genannte Capitain Mordowin sehen die Ursache des Durchstossens darin, dass bis zum 10. September während eines viermal vier und zwanzigstündigen Sturmes aus NNW der Seegang aus der offenen See so bedeutend geworden war, dass er, indem er die Barre erreichte, auf deren Fläche in kurze hohe Sturzwellen überging und durch die entgegenkommende Strömung aus dem Flusse sich auf dem Boden wellenförmige Sanderhöhungen bildeten, durch welche stellenweise die Tiefe des Wasserstandes verringert ward. Die alsbald nach dem Aufstoss gepeilten Pumpen ergaben anfangs nicht mehr Wasser im Raum als gewöhnlich und trug der Schiffer deshalb kein Bedenken, seine Reise fortzusetzen. Erst am folgenden Tage nahm man eine wirkliche Zunahme des Wassers wahr, die sofort in Gang gesetzten Pumpen schlugen jedoch noch lens.

      Am 12. September ging der Wind von SSO mit starker Brise nach SW und dann nach WNW. Die Brigg hielt nördlichen Curs und der Schiffer dachte anfangs daran, auf die norwegische Küste zuzuhalten und womöglich Hammerfest zu erreichen, musste aber, da der Wind sehr bald wieder nach Ost und so umsprang, diesen Plan aufgeben. Bis zum 17. September verfolgte nun die Brigg im wesentlichen nordwestlichen Curs. In diesem Tage ging der Wind mit schwerem Sturm nach NWzW und ward in Folge dessen der Curs nach NzO geändert. Die See war sehr hoch und die Brigg arbeitete schwer, ward aber noch so ziemlich auf den Pumpen gehalten. Am 18. September stand dieselbe etwa auf 72° 4 nördlicher Breite und 33° 26 östlicher Länge. An dem folgenden Tag ging der Wind mehr südlich und ward jetzt der Curs theils SWzW theils West genommen. Am 26. September trat ein orkanartiger Sturm aus SW ein und die See brach von allen Seiten über das Schiff zusammen. Trotz fortgesetzten Pumpens nahm von nun an das Wasser im Raume erheblich zu. Das stürmische Wetter dauerte bis in den October hinein. Dann ward es einige Tage besser, während welcher die Brigg den Curs SSW verfolgte, bis am 13. October der Wind durch West auf Nord ging und wiederum zum Orkan anwuchs.

      Die Brigg verlor jetzt vollkommen ihre Steuerkraft und triel breitseitig vor dem Winde. Die See brach unablässig über dieselbe zusammen und die Mannschaft musste eine Zeit lang in die Takelage flüchten. Als das Wetter etwas ruhiger geworden war, ward das Pumpen wieder aufgenommen. Es gelang auch nach längerer harter Arbeit, das Schiff so ziemlich lens zu bekommen, aber dasselbe hatte durch den Sturm schwer gelitten. Stützen und Regeling waren an beiden Seiten gebrochen, das ganze Schiff hatte sich stark begeben, der feste Bug war abgewichen und nach vorne über gebogen. Da unter solchen Umständen dem Schiffer eine Fortsetzung der Reise unmöglich erschien, so hielt er einen Schiffsrath mit der Mannschaft und es ward beschlossen, die nächste Küste aufzusuchen und demgemäss auf die Shettland Inseln zuzuhalten, welche man denn auch bei SSW Curs am 15. Oktober Mittags in Sicht bekam. Nach vielen Schwierigkeiten gelang es am folgenden Tage unter Lootsenassistenz in den Hafen von Lerwick einzulaufen. Damals stand das Wasser im Raume, trotzdem die letzten Tage hindurch unaufhörlich gepumpt war, nach Angabe des Steuermanns 8 Fuss hoch.

    4. Schiffer Ahrens begab sich sofort zwecks Niederlegung eines Seeprotestes zum dortigen deutschen Consul. Der letztere ordnete im Einverständnis mit ihm ungesäumt eine Besichtigung des Schiffes durch den Schiffscapitain Robert Sinclair und den Zimmermann Joseph Sinclair an, welche die Brigg noch am 16. October und sodann, nachdem dieselbe nach Treefield gebracht und dort die Ladung gelöscht worden, am 28. October von neuem einer genauen Revision unterzogen und zunächst über ihren Befund Nachstehendes eidlich erklärt haben:

      Das Schiff habe anscheinend rund herum auf beiden Seiten stark gelitten, die Buttenden der Planken seien aufgesprungen, die Nähte zu grössten Theil und vorzugsweise am Bug gelockert, die Leibhölzer beschädigt, die Regeling gebrochen und die Verschanzung weggerissen. Rings um das Leck sei gleich falls alles aufgesprungen und der ganze Obertheil des Schiffes thatsächlich in einem solchen Zustande, dass es demselben mit einer schweren Ladung unmöglich gewesen sein würde, einen Hafen zu erreichen. Die Deck- und Unterraumbalken schienen bedeutend gearbeitet zu haben und die Verbände seien alle mehr oder weniger gelockert. Einige Kniee und Bolzen seien gebrochen und zwischen Fock und Grossmast habe das Schiff den Rücken gebrochen, denn dort sei es ganze 9 Zoll in die Höhe gegangen. Eine grosse Anzahl von Bolzen seien gelockert, eins der Spannthölzer gebrochen und sei der Schade anscheinend dadurch verursacht, dass das Schiff schwer auf den Grund gestossen habe. Die Beschädigungen am Kiel und der äusseren Bodenverplankung seien, ohne das Schiff zu kielholen, nicht näher festzustellen.
      Die Besichtiger haben sodann erachtet: die nothwendigen Reparaturen mit Einschliessung der Wiederverbolzung und Kalfaterung würden nicht unter 1.500 £ zu bewerkstelligen sein. Sie hielten es daher im allseitigen Interesse für das Beste, wenn das Schiff mit Zubehör in öffentlicher Auction versteigert werde.

      Diesem Befund und Erachten hat sich der Schiffsbaumeister Burchard hierselbst, welcher sich, von den Rhedern und Assecuradeuren mit einer Besichtigung des Wracks beauftragt, am 2. November 1879 nach Lerwick begeben und das Wrack besichtigt hat, allen Inhalts angeschlossen. Nach seiner vor dem Seeamte abgegebenen beeidigten Aussage fand er, dass im Unterraume viele Bolzen, meistens metallene, 1 bis 1¼ Zoll aus den Planken im Boden herausragten, dass das Schiff sich der Länge nach stark begeben hatte und gebrochen war, dass fast sämmtliche Balken im Raume sich begeben und gearbeitet hatten, dass das Heck nach hinten, der Vordersteven und Bug nach vorne abgewichen waren, die Wassergänge und Regelingstützen sich gelöst hatten, die Schanzbekleidung und Bastionirung meistens fort waren, ebenso die sehr ramponirte Regeling, dass der feste Bug sehr gelitten hatte und namentlich an Backbordseite so weit abgewichen war, dass man die Hand dahinter stecken konnte und endlich, dass der Grossmast oben im Top einen Bruch erlitten hatte. Er erachtete, das Schiff sei nicht in einem Zustande, dass es reparirt werden könne und begründete dieses Erachten wesentlich damit, dass eine Reparatur in Lerwick unter den dortigen besonderen Verhältnissen nicht möglich sei und die Kosten eines Transportes in einen anderen Hafen und der dortigen Reparatur des Schiffes unverhältnissmässig hoch sein würden.

      Im Interesse der Versicherer der Fracht sandte nun im November 1879 deren Vertreter E. E. Wendt in London ebenfalls einen Sachverständigen, nämlich den Schiffsbesichtiger Thomas Hick, von dort nach Lerwick, um auch seinerseits das Schiff einer Revision zu unterziehen. Der letztere hat sich über das Ergebniss derselben unter dem 17. November 1879 seinem Auftraggeber gegenüber folgendermassen ausgesprochen:
      Bei Besichtigung der Aussenseite habe er auch nicht eine einzige beschädigte Butte oder Naht und ausser der geborstenen unteren Schutzplanke überall keinen schadhaften Gegenstand vorgefunden. Im Unterraum sei weder eine Plankenbutt, noch in Bolzen gelockert gewesen. Ein einziges inneres Bodenholz 11 Fuss hinter dem Fockmast auf Backbordseite habe einen Bruch gezeigt, sonstige schathafte Inhölzer seien nicht vorhanden gewesen. Das Kielschwein sei von der grossen Luke ein wenig gehoben und an verschiedenen Stellen, hauptsächlich vorne, verrottet gewesen, wo man anscheinend, um den Schaden zu verbergen, Holzstücke aufgenagelt gehabt habe. Einige der Horizontal Kniee seien von Alter schadhaft, keins jedoch gelockert gewesen, einzelne Unterraumbalkenenden schienen sich ein wenig begeben zu haben. Im Zwischendeck hätten sich keinerlei Spuren einer stattgehabten Bewegung gezeigt. Die Oberenden der Inhölzer und die Oberdeckbalken hätten sich in einem verhältnismässig guten Zustande gefunden.

      Die Nähte des Leibholzes, der Wasserwege und um die Stützen hätten sich auf beiden Seiten allerdings etwas begeben, jedoch seien die Stützen alle unbeschädigt. Dagegen seien in erheblicher Theil der Schanzbekleidung beiderseits, die Finknetze und Regeling stützen verloren, die Regeling selbst auf beiden Seiten geborsten. Alle beweglichen Stücke seien vom Schiff entfernt und an das Land gebracht gewesen. Dabei sei indess nicht mit der gehörigen Sorgfalt verfahren und scheine das überall in der Absicht geschehen zu sein, die Condemnirung des Schiffes herbeizuführen. Um das Schiff vollständig wieder herzustellen und seetüchtig zu machen, erachte er einen Kostenaufwand von im ganzen 630 £ für erforderlich.

      Mit Genehmigung der Rhederei hat Schiffer Ahrens den meistbietenden gerichtlichen Verkauf des Wracks und des Inventars veranlasst, welcher am 20. November 1879 stattgefunden hat und aus welchem 176 £ aufgekommen sind.


    5. Nach Versicherung des Schiffers soll sich die Brigg bei Beginn der letzten Reise in einem durchaus seetüchtigen Zustande Befunden haben. Der Schiffbaumeister Zeltz hier selbst hat sie im Frühling 1876 abdichten lassen und erklärt, dass sie damals allerdings vollkommen seetüchtig gewesen sei. Ebenso hat der Schiffsbaumeister William Gray in Hartlepool, in dessen Trockendock dieselbe im April 1877 einigen kleineren Reparaturen unterzogen worden ist, nichts wahrgenommen, was ihn an deren Seetüchtigkeit hätte zweifeln lassen, und endlich haben der Steuermann Hagemeister, der Koch Steinbeck und die Matrosen Krohn und Dedow bestätigt, dass das Schiff bis zum Aufstoss auf die Barre vor Archangel stets dicht gewesen sei, was die Aufzeichnungen zum Journal über die vorletzte Reise desselben von Gent nach Archangel bestätigen. Eine Classe hat die Brigg freilich schon seit Jahren nicht mehr gehabt, der Schiffer will sich jedoch seiner Angabe nach um eine solche gar nicht bemüht haben, weil er nur Holz- und Kohlenladungen befördert und ihrer deshalb nicht bedurft habe.


    6. Indem nun das Seeamt zur Beurtheilung des vorstehend zusammengestellten Materials übergeht, findet es

      1. die Ursache derjenigen Schäden, welche die Condemnirung des Schiffes in Lerwick herbeiführten, in zwei Umständen, nämlich zunächst in dem Aufstossen der Brigg auf die Barre vor Archangel und sodann in den orkanartigen Stürmen, welche dieselbe demnächst zu bestehen hatte.
        Die Folge des Aufstossens war ein Leck, welcher anfangs nur gering, sich im Verlaufe der Reise und bei dem höher werdenden Seegang vergrösserte und das Schiff mit dem allmäligen Steigen des Wassers im Raume mehr und mehr manövrirunfähig machte. Als dann die schnell auf einander folgenden Stürme eintraten, war das letztere in seinem lecken Zustande denselben nicht mehr gewachsen, sondern fast widerstandslos den Wellen preisgegeben und die schweren Beschädigungen, welche die Besatzung nach den Sturme vom 13. October an der Brigg wahrnahm, finden gerade hierin ihre vollkommene Erklärung.

        Dass das Alter des Schiffes bei dem vorliegenden Seeunfalle nicht ganz ohne Einfluss gewesen sein wird, mag zugegeben werden. Denn ein jüngeres Schiff würde bei dem Aufstoss auf die Barre vielleicht nicht leck gesprungen sein und den späteren Stürmen wahrscheinlich einen kräftigeren Widerstand entgegen gesetzt haben. Da aber eine Seeuntüchtigkeit der Brigg bei Beginn ihrer letzten Reise durch nichts indicirt ist, so kann man den Unfall auf das Alter derselben als dessen prinzipale Ursache nicht zurückführen und keinen Falles ist dem Schiffer daraus, dass er mit einem 22 Jahre alten Schiffe eine so weite und in Anbetracht der Jahreszeit voraussichtlich gefährliche Reise unternommen, ein Vorwurf zu machen. Denn die Brigg war erst in den Jahren 1876 und 1877 einer Reparatur unterzogen worden und wie die Mannschaft bezeugt und das Journal bestätigt, auf ihrer vorletzten Reise von Gent nach Archangel durchaus dicht gewesen und darüber, in wie weit und unter welchen Bedingungen ältere Schiffe überall noch zu Seereisen benutzt werden dürfen, fehlt es zur Zeit an einem bestimmten gesetzlichen Anhalt.


      2. Die Frage, ob einer der Besatzung, insbesondere der Schiffer, das Aufstossen auf die Barre und damit das Leckspringen der Brigg durch Handlungen oder Unterlassungen verschuldet habe, hat das Seeamt verneinen müssen. Ist es zwar nicht gelungen, durch die eidliche Vernehmung des Archangeler Lootsen Urpin alle den Uebergang über die Barre begleitenden näheren Umstände festzustellen, so ist doch soviel erbracht, dass der p. Urpin ein Zwangslootse war und dass er den Uebergang angeordnet hat. Unter diesen Umständen ist der Schiffer für den letzteren und dessen Folgen in keiner Weise verantwortlich und wenn irgend Jemanden in dieser Beziehung ein Verschulden trifft, so kann dies nur der Lootse sein. Allein auch ihm wird man nach Lage der Sache ein solches nicht beimessen können, da der Wasserstand in Folge der voraufgegangenen nördlichen Winde ein verhältnissmässig hoher war und Schiffe von dem Tiefgang der Brigg der Regel nach die Barre ungefährdet passiren; vielmehr wird der von dem Commandeur des Archangeler Hafens ausgesprochenen Ansicht beizutreten sein, wonach das Aufstossen der Brigg lediglich durch einen unglücklichen Zufall veranlasst worden ist.


      3. Auch das weitere Verhalten von Schiffer und Mannschaft auf der Fahrt von Archangel nach Lerwick giebt zu keinerlei Ausstellungen Anlass. Als der Leck bemerkt wurde, was erst am Tage nach dem Passiren der Barre geschah, war die Brigg schon weit von Archangel entfernt und konnte somit eine Rückkehr dorthin zu Zwecke der Vornahme einer Reparatur überall nicht mehr in Frage kommen. Denn bei dem kräftig wehenden südlichen Winde wäre, es nur mit Dampferassistenz möglich gewesen, die Dwina-Mündung wieder zu erreichen und auf sie war fern von der Küste auf hoher See nicht zu hoffen. Ebenso musste das Anlaufen eines norwegischen Hafens, an welches der Schiffer gedacht hatte, von letzterem der weiten Entfernung und des conträren Windes halber, gegen welchen ein mit Holz beladenes Schiff unmöglich aufkreuzen konnte, als unausführbar aufgegeben werden, und der Besatzung blieb jetzt in der That nichts übrig, als die Reise fortzusetzen und den schweren Kampf mit Wind und Wetter auf ihrem lecken Schiffe zu bestehen. Und diesen Kampf hat dieselbe unverzagt und mit lobenswerthem Muthe ausgekämpft. Erst als der Sturm am 13. October Stützen und Regeling an beiden Seiten des Schiffes fortgebrochen und dasselbe in seinem ganzen Verbande derartig gelockert hatte, dass bei weiterem schlechten Wetter dessen gänzlicher Aufbruch zu befürchten stand, gab sie ihn nothgedrungen auf, um in Lerwick Schutz zu suchen.


      4. Die Assccuradeure der Fracht haben die Nothwendigkeit des dort erfolgten Verkaufes der Brigg auf Grund des in ratio III mitgetheilten Befundes des Schiffsbesichtigers Thomas Hick in Zweifel gezogen und würde, wenn dieser Zweifel berechtigt wäre, zu prüfen sein, ob und in welchem Masse etwa der Schiffer zu der nach dem Hickschen Befunde ohne genügende Veranlassung verhängten Condemnation des Schiffes schuldvoll beigetragen habe. Allein das Seeamt kann den angeregten Zweifel in keiner Weise für berechtigt halten. Denn auf Grund der völlig übereinstimmenden, mit den Aufzeichnungen zum Journal in Einklang stehenden, eidlich erhärteten Befunde der vom deutschen Consul adhibirten Lerwicker Besichtiger und des Schiffsbaumeisters Burchard von hier nimmt dasselbe als thatsächlich festgestellt an:
        dass das Schiff sich in fast allen seinen Theilen stark begeben hatte, der Länge nach gebrochen, das Heck nach hinten, der Bug nach vorne abgewichen war, fast sämmtliche Balken im Raume gearbeitet hatten, dass die Wiederherstellung der Brigg in Lerwick unmöglich gewesen wäre, eine Reparatur auf einer englischen oder deutschen Werft aber mit unverhältnissmässigen Kosten verknüpft gewesen sein würde und dass daher der meistbietende Verkauf des Schiffes und des Inventars im allgemeinen Interesse der Rhederei lag; -eine thatsächliche Feststellung, welche durch die abweichenden Ergebnisse der Besichtigung des p. Hick umsoweniger hat erschüttert werden können, als dessen Befund theilweise in sich widersprechend und unbeeidigt ist. Unter diesen Umständen konnte das Seeamt von einer Erörterung der Frage, ob und wieweit der Schiffer vorsätzlich oder fahrlässig zu der Condemnation seines Schiffes beigetragen habe, gänzlich absehen.


      5. Nach Artikel 487 des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches soll zum Schiffsjournal von Tag zu Tag unter anderem auch der Wasserstand bei den Pumpen eingetragen werden. Dieser Vorschrift ist bei der übrigens den gesetzlichen Bestimmungen vollständig entsprechenden Journalisirung der letzten Reise der „Eleonore von Flotow“ nicht im ausreichenden Maass genügt worden, indem sich im Journal stets nur die Notiz Pumpen les und niemals eine Angabe über den im Raum vorhandenen Wasserstand eingetragen findet, obwohl die genaue Feststellung des letzteren grade nach dem Aufstossen des Schiffes von besonderer Bedeutung gewesen wäre, um die Existenz eines Leckes bezw. Die Vergrösserung desselben erkennen zu können. Da der Schiffer und Steuermann gleichmässig für die correcte Führung des Journals verantwortlich sind, so trifft der aus obiger Unterlassung hergeleitete Vorwurf unvollständiger Journalisirung beide.



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