Ceylon 1885 | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark „Ceylon"



  1. Auf Grund der heutigen Hauptverhandlung, insbesondere der Aussagen des Schiffers P. D. Niemann, des Matrosen Scharenberg und des Zimmermanns Zorn, welche letztere beiden eidlich deponirt haben, sowie der Registerakten und des Verklarungs- und Besichtigungs-Protokolls d. d. Philadelphia, den 25. April und 7. Mai 1885, ist folgendes für thatsächlich festgestellt erachtet worden: Am 12. März 1885 versegelte die in Rostock beheimathete, zu 1589,3 cbm oder 561,03 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessene, vom Schiffer Peter Daniel Niemann zu Wustrow geführte Bark „Ceylon“, Unterscheidungssignal MDGT, ein im Jahre 1857 zu Preston in England aus Eichen-, Teak- und Mahagoniholz erbautes und im Jahre 1877 in den Besitz einer hiesigen Rhederei käuflich übergegangenes Schiff, mit einer nach Philadelphia bestimmten Ladung Asphalt und leerer Fässer aus Antwerpen und befand sich, nachdem sie verschiedene schwere Stürme glücklich bestanden hatte, am 10. April etwa auf 31° Nordbreite und 71° Westlänge.

    Der Wind wehte aus SSO, und das Wetter war schön. Nachmittags 5 Uhr kam ein Gewittersturm auf, weshalb Schiffer Riemann alle Segel bis auf die Unter- und Ober-Marssegel und Abends 8 Uhr dann auch noch die letzteren wegnehmen und festmachen ließ. Abends gegen 9 Uhr, als sich der Sturm wieder gelegt hatte, bemerkte Schiffer Niemann am Horizont eine dunkle Wolke, welche er Anfangs für ein Schiff hielt. Kurz vorher hatte er, da alle Vorsichtsmaßregeln für einen etwaigen neuen Sturm getroffen waren, seinen Bruder, den Steuermann Albert Ludwig Niemann, mit den zu dessen Wachmannschaft gehörigen Leuten zum Schlafen in die Koje gesandt. Die von ihm gesichtete Wolke nahm, als sie näher kam, eine trichterartige Form an, und jetzt erkannte er, daß er es mit einer Wasserhose zu thun habe.

    Da alle Segel fest waren, so glaubte er keine weitere Vorkehr treffen zu können. Er selbst befand sich damals auf dem Quarterdeck an Backbordseite, während der Ausguckmann vorne auf der Back stand, und die übrige Wachmannschaft mittschiffs auf dem Deck beschäftigt war. Als die Wasserhose, welche von Backbordseite heran kam, die Bark erreichte, legte sich diese zunächst mit dem Bug tief in die See und gleichzeitig so stark nach Steuerbordseite über, daß die Enden der Raaen fast das Wasser berührten. Dann hob sich das Schiff vorne wieder, ward mit dem Bug in den Wind gedreht, sank mit dem Heck tief in die See und legte sich nach Backbordseite fast platt auf das Wasser. Dabei wurden der Großmast und der Besahnnast mit allen Spieren, Segeln und zugehörigem Gute weggerissen und fielen theils auf das Deck, theils über Bord. Einer der von oben herunterkommenden harten Gegenstände traf den Schiffer derartig auf den Kopf, daß er zu Boden gestreckt wurde und besinnungslos in die Cajüte getragen werden mußte.

    Der Steuermann Niemann hatte wahrscheinlich seine Cajüte verlassen, als die Bark sich zuerst nach Steuerbord überlegte, und gerade als er das Deck erreicht hatte, wird der eine der fallenden Masten auf ihn gestürzt sein. Die Mannschaft fand ihn entseelt vor der Cajüte liegen; Kopf und Brust waren ihm vollständig eingedrückt. Von den übrigen zur Schiffsbesatzung gehörigen Leuten war niemand beschädigt, und auch der Schiffer, welcher eine schwere Stirnwunde davon getragen hatte, kam bald wieder zur Besinnung. Nach der Katastrophe, welche im Ganzen nur etwa 2 Minuten dauerte, wurde alsbald alles stehende und laufende Tauwerk weggeschnitten, um die Bark von den Masten zu befreien, welche die Schiffswand einzustoßen drohten. An den folgenden Tagen errichtete man aus der Vorbramraa einen Noth-Besahnmast und aus der Vorbramstenge einen Noth-Grosmast und versah beide mit den erforderlichen Segeln.

    Die Leiche des Steuermanns versenkte man am 11. April Abends in das Meer. Da die Bark im Uebrigen keine erheblichen Verletzungen erlitten hatte, so erreichte man am 25. April glücklich Philadelphia, wo das Schiff demnächst reparirt ist. Die Reparaturkosten haben nach Angabe des Schiffers ungefähr 10800 M. betragen. Schiffer Riemann hat den Tod des Steuermanns noch am 11. April unter Zuziehung zweier Personen der Mannschaft in das Schiffsjournal eingetragen, auch 2 von ihm beglaubigte Abschriften dieses Eintrags bei der Ankunft in Philadelphia dem dortigen deutschen Consulat überreicht, aber bei dem demnächtigen Eintreffen des Schiffes in Stettin, wohin dasselbe von Philadelphia aus ging, hat er der Aufsichtsbehörde des dortigen Standesbeamten das Schiffsjournal, welches er zum Zweck der Dispache in Philadelphia zurückgelassen hatte, nicht vorgelegt.


  2. Nach den thatsächlichen Feststellungen in ratio I ist nicht zu bezweifeln, daß die Bark wirklich von einer Wasserhose erfaßt worden ist, und sowohl die Beschädigungen, welche sie erlitten hat, als auch der Tod des Steuermanns auf jenen Umstand zurückzuführen sind. Die Frage, ob Schiffer Niemann irgend etwas unterlassen, was etwa hätte geeignet sein können, den Unfall abzuwenden oder doch in seinen Folgen weniger verderblich zu machen, muß verneint werden. Denn die Segel waren bis auf die Untermarssegel bereits sämmtlich fest, und auch diese letzteren noch fest zu machen oder doch deren Schooten loszuwerfen, dazu gebrach es bei der großen Schnelligkeit, mit welcher die Wasserhose sich dem Schiffe näherte und über dasselbe hinwegging, an der erforderlichen Zeit.

    Daß es aber der Schiffer unterließ, die Kojenwache an Deck zu rufen, kann schon deshalb nicht getadelt werden, weil die zu derselben gehörigen Leute vorläufig doch nicht zu helfen vermochten und während der Katastrophe jedenfalls unter Deck sicherer waren. Was die Bestattung des Steuermanns anlangt, welche bereits nach etwa 24 Stunden erfolgte, so mußte sich die Frage aufdrängen, ob dieselbe nicht vorzeitig geschehen sei, zumal, wie Schiffer Niemann selbst angegeben, weder Verwesungsgeruch noch Todtenflecke an der Leiche wahrgenommen sind. Allein da Kopf und Brust des Verunglückten total eingedrückt und dessen Glieder schon am Morgen des 11. April nach den weiteren Aussagen des Schiffers derartig geschwollen waren, daß er nicht mehr entkleidet werden konnte, so darf angenommen werden, daß der Tod desselben bereits am 10. April und zwar unmittelbar nach dem Unfalle, von welchem er betroffen wurde, ein getreten ist.

    Schiffer Niemann hat endlich zwar der Vorschrift des §. 62 des Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes vom 6. Februar 1875 durch die Eintragung des Todesfalles im Schiffsjournal und dessen Anmeldung bei dem deutschen Consulate zu Philadelphia genügt, aber er hat die weitere Vorschrift des §. 64 jenes Gesetzes, wonach bei Ankunft der Bark in Stettin das Schiffsjournal der Aufsichtsbehörde des dortigen Standesbeamten vorzulegen war, unbefolgt gelassen. Der Grund aber, welchen er für diese Unterlassung angeführt hat, daß er nämlich zum Zweck der Anfertigung einer Dispache das Schiffsjournal in Philadelphia habe zurücklassen müssen, kann als ein stichhaltiger nicht anerkannt werden, da für die Dispache ein beglaubigter Auszug genügt haben würde, und der Schiffer das Journal selbst bei der hohen Wichtigkeit dieses Dokuments unter keinen Umständen zurücklassen durfte.


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