Cardenas | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark "Cardenas"

  1. In heutiger Hauptverhandlung ist Nachstehendes thatsächlich festgestellt.

    1. Am 27. Januar 1887 verließ die in Rostock beheimathete, vom Schiffer Johann Korff aus Dierhagen geführte Bark "Cardenas",Unterscheidungssignal ABGP, vermessen zu 1129,2 cbm = 398,60 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt, mit einer nach Newcastleon Tyne bestimmten Ladung Harz den Hafen von Smithville bei Wilmington. Die Bark war mit allen für die Reise Erforderlichengut ausgerüstet. Die Mannschaft bestand mit Einschluß des geprüften Steuermanns Joachim Hauth von Dierhagen aus 10 Personen.Die Reise verlief bis zum 31. März ohne Unfall. An diesem Tage befand sich die Bark Nachmittags 5 Uhr ungefähr 80 Seemeilen von Spurn-Feuerschiff.

      Der Wind wehte mit leichter Briese aus West, und die Bark steuerte NNW mit geringer Abtrift. An Segeln standen die Fock, die Voruntermarssegel, das Großsegel, Großunter- und Großobermarssegel und Besahn. Die Fahrt betrug ungefähr 4 Knoten. Der Schiffer hatte die Wache und befand sich auf dem Quarterdeck, der Matrose Haberland stand am Ruder. Die Luft war bezogen, aber nichts deutete auf den baldigen Eintritt von Unwetter hin.Das Barometer zeigte allerdings Neigung zum Fallen, stand aber noch auf 28 Zoll. Der Schiffer, welcher beabsichtigte bis gegen Abendden bisherigen Curs beizubehalten, um dann zu wenden und südwestlich zu liegen, gewahrte luvwärts am Horizont eine blaue Wolke.

      Da ihm dieselbe bedenklich vorkam, ließ er die Bark noch dichter an den Wind bringen und befahl gleichzeitig dem Zimmermann, die Marsfallen loszuwerfen, sprang auch selbst zu, um dies bei dem Fall in Lee zur Ausführung zu bringen, als die See plötzlich an der Luvseite bei den Großwanten aufbäumte, und es ihm schien, als ob die ganze Bark in die Höhe gehoben werde. Unmittelbar darauf legte sich dieselbe stark nach Steuerbordseite über, wurde aber sofort wieder nach Backbordseite hinübergeworfen und nun fielen in schneller Aufeinanderfolge die 3 Masten über Bord, der Vor- und der Großmast nach Backbordseite, der Besahamast nach Steuerbordseite. Sie waren sämtlich über Deck gebrochen und bis unten hinunter mehr oder weniger zersplittert. Der Schiffer warf sich rasch in den Kajüteneingang, während die zur Wache gehörigen Leute bis auf den Rudermann beim Roof Schutz suchten.

      So blieben alle unverletzt, auch der Rudermann, welcher links vom Besahnmast stand und zweifelsohne erschlagen sein würde, wenn dieser, wie die beiden anderen Masten, nach Backbord übergefallen wäre. Der ganze Vorgang verlief in 2 bis 3 Minuten und gleich nachher war der Wind wieder flauer. Da die Masten und Raaen an den Seiten des Schiffes und unter demselben stark rammten, ließ der Schiffer sämtliche Takelage weg kappen. Als die Bark so von Masten und Takelage befreit war, ließ er die Pumpe peilen, und es ergab sich, daß das Schiff dicht geblieben war. Dann ward an den Stumpf des Großmastes eine Spiere und an dieser ein Nothsignal befestigt, worauf sich ein englischer Dampfer näherte, welcher sich erbot, die Bark gegen einen mit seiner Rhederei demnächst zu vereinbarenden Bergelohn nach Hull zu bringen.

      Da es auf der Bark an Material zur Errichtung von Nothmasten fehlte, auch stürmisches Wetter im Anzuge war, so nahm Schiffer Korff diese Offerte an, und nach schwerer Arbeit gelang es dem Dampfer, die Bark nach Hull zu schleppen, wo beide Schiffe am 2. April 1887 eintrafen. Dort wurde die Bark auf Anordnung des deutschen Consuls von 2 Sachverständigen besichtigt, welche feststellten, daß der Fockmast 6 Fuß, der Großmast 10 Fuß und der Besahnmast 5 Fuß über Deck gebrochen sei, zahlreiche sonstige Beschädigungen am äußern Schiffe (soweit dieselben vor Entlöschung der Ladung sichtbar waren) constatirten, die Kosten einer Reparatur der von ihnen festgestellten Schäden zu 1.261 £ veranschlagten und den Werth des Schiffsrumpfes in seinem havarirten Zustande auf 75 £ schätzten. Der Bergelohn wurde mit der Rhederei des einschleppenden Dampfers auf 400 £ vereinbart und in diesem Betrage bezahlt. Von Hull ließ sich die Bark weiter nach Süd-Shields tauen, um dort ihre Ladung zu löschen.

      Nachdem letzteres geschehen, ist sie dort aufs Neue und zwar wiederum auf Anordnung des dortigen deutschen Consuls von einer Sachverständigen-Commission besichtigt, welche den Befund und den Anschlag der Huller Besichtiger bestätigte, ihrerseits eine Reihe weiterer schwerer Beschädigungen im Innern des Schiffes feststellte, und die Kosten der Reparatur derselben zu 776 £ veranschlagte, sodaß sich die Gesamtreparaturkosten auf 2.037 £ stellten. Diese Commision erachtete, daß die Bark nicht würdig sei, reparirt zu werden, da die Reparaturkosten den Werth des fertigen Schiffes übersteigen würden und empfahl dessen Verkauf, welcher alsdann durch einen von dem deutschen Consul designirten vereidigten Auktionator ausgeführt ist und mit Inventar eine Aufkunft von 146 £ ergeben hat.
    2. Die Bark "Cardenas" ist vor etwa 20 Jahren in Bremerhaven aus Eichenholz erbaut, gehörte früher einer Hamburger Rhederei und wurde im Jahre 1884 mit Inventar für 21.000 M von einer rostocker Rhederei angekauft. Sie ward dann bei Burchard & Co. in Rostock gründlich reparirt, worauf sie bei Büreau Veritas die Klasse +3/3 G. 1.1. bis 1889 erhielt. Bei der Besichtigung durch die Experten dieser Gesellschaft fand sich an Masten, Wanten und Takelage nichts auszusetzen. Auch wurde damals das Schiff gekielholt, wobei Masten und Wanten sich als haltbar und gut erwiesen. Schiffer Korff, welcher die Bark seit dem Jahre 1884 geführt hat, war als Rheder mit 250/360 Parten betheiligt.

      Die vorstehenden thatsächlichen Feststellungen sind auf Grund der Registeracten des Schiffsjournals, der Aussagen des Schiffers in heutiger Hauptverhandlung und der in derselben verlesenen Schriftstücke als:

      • des von dem deutschen Consulat zu Hull am 7. April 1887 aufgenommenen Verklarungs-Protocolles,
      • der Aussagen des Steuermanns Hauth und der Matrosen Haberland, Böttcher und Kofel zum Protocoll derselben Behörde vom 11. April 1887,
      • zweier Berichte der rostocker Experten des Büreau Veritas vom 30. August und 10. September 1887,
      • einer schriftlichen Mittheilung des Schiffsbaumeisters E. Burchard zu Rostock vom 8. September 1887 und
      • der Besichtigungsprotocolle datirt Hull 12. April und Süd Shields 17. Juni 1887.


      getroffen worden.

  2. Nach den thatsächlichen Feststellungen in Punkt I unter 1 nimmt das Seeamt an, dafl der vorliegende Unfall durch einen Wirbelsturm verursacht ist, welcher die Bark so heftig hin und her schleuderte, dafl ihre drei Masten über Deck brachen und ihr diejenigen weiteren schweren Beschädigungen zugefügt wurden, welche von den Besichtigern zu Hull und Süd Shields namhaft gemacht sind und welche zusammen mit dem Verlust der Masten und der Takelage zu ihrer Condemnation führten. Daß sich der Vorgang so zugetragen hat, wie er in Punkt I, 1 festgestellt worden, sieht das Seeamt auf Grund der Eintragungen in das Schiffsjournal, der Verklarung und der glaubwürdigen Aussagen des Schiffers als voll erwiesen an, und dieser Vorgang läßt sich nur durch das plötzliche Auftreten eines Wirbelsturmes erklären, in dessen Centrum die Bark gerathen ist.Da das Barometer nicht merklich gefallen war, und auch sonstige sichere Vorzeichen fehlten, so konnte der Schiffer den Eintritt desselben nicht voraussehen. Es ist ihn mithin kein Vorwurf daraus zu machen, daß er fast alle Segel bei hatte und dieselben nicht früher wegnehmen ließ. Daß sich die Bark sowohl bei Beginn der Reise als auch bei den Eintritt des Unfalles in einem durchaus seetüchtigen Zustande befunden hat, ist im Hinblick auf die erst vor 3 Jahren hier ausgeführte Zimmerung sowie auf die Klassifizirung derselben nicht zu bezweifeln.

    Insbesondere muß dies auch von den Masten und der Takelage angenommen werden, welche bei der Besichtigung durch die hiesigen (VII.42) Experten des Büreau Veritas im Jahre 1884 tadellos befunden sind und sich damals beim Kielholen des Schiffes als haltbar und gut bewährt haben.Wenn hiernach der Unfall lediglich auf ein elementares Ereigniß zurückzuführen und von der Besatzung nach dessen Eintritt alles geschehen ist, was zur Rettung von Schiff und Ladung geschehen konnte, so war auszusprechen, dafl ein Verschulden an demselben und dessen Folgen weder dem Schiffer noch Jemandem von der Mannschaft beizumessen sei.

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