Aldophine

Seeunfall der Brigg „Adolphine"



  1. Nach den Ergebnissen der heutigen Hauptverhandlung und insbesondere auf Grund der Aussagen des Schiffers sowie der zur Verlesung gelangten Schriftstücke, als der Verklarung und des Besichtigungs-Protokolls d. d. Ritzebüttel 6. Januar 1882, der Verfügung des dortigen Amtsgerichts wegen Condemnirung des Schiffes vom 27. desselben Monats, der Bescheinigungen der Schiffsbaugesellschaft zu Whitehaven vom 13. Mai 1882, des Verwaltungsrathes des Germanischen Lloyd vom 24. desselben Monats und des Schiffbauers Gampe zu Riga vom 28. September 1882, sowie endlich der Eintragungen in das Schiffsjournal ist das Nachstehende als thatsächlich festgestellt angenommen:


    1. Die in Rostock beheimathete Brigg „Adolphine“, Unterscheidungssignal MBPT, ist im Jahre 1841 in Rostock erbaut, 1874 zu 194,71 britischen Register-Tons Netto-Raumgehalt vermessen und seit dem Jahre 1851 von dem Schiffer Johann Daniel Peters aus Wustrow, welcher mit 80/192 Parten am Schiffe betheiligt war, geführt worden.


    2. Die Instandhaltung der Brigg in den letzten zehn Jahren anlangend, so ist dieselbe


      • im Jahre 1873 in Wismar verbolzt und kalfatert,

      • im Jahre 1875 in Grimsby verzimmert und in Antwerpen vom Kiel bis zum Schanddeckel gründlich kalfatert,

      • im Jahre 1877 in Antwerpen vom dortigen Experten des Germanischen Lloyd nach theilweiser Erneuerung des Decks genau untersucht, wobei namentlich auch die Inhölzer durchaus gesund befunden sind, und endlich

      • in Riga vor Beginn ihrer letzten Reise im Herbst 1881 vom Schiffsbaumeister Gampe daselbst nachgesehen und vom Schanddeckel bis zur Wasserfläche gedichtet. Bis zum Jahre 1880 hatte die Brigg beim Germanischen Lloyd Classe gehabt. Auf seiner vorletzten Reise von Antwerpen nach Riga war das Schiff vollkommen dicht.


    3. Am 7. November 1881 verließ die Brigg mit einer vollen Ladung Holz, bestehend aus Schwellen und Balken, von denen ein Theil an Deck verstaut war, Riga, um nach Selzaete in Belgien zu segeln. Da sie sofort mit stürmischem Wetter und contrairen Winden zu kämpfen hatte, so zeigte sich schon am 11. November, wie man anfangs irrthümlicher Weise annahm, hinten an Steuerbordseite ein kleines Leck, welches, nachdem am 16. November ein schwerer Sturm aus SW geherrscht hatte, in verstärktem Maße auftrat und dessen wirklicher Sitz, wovon man sich jetzt überzeugte, in der Gegend der unteren Ladepforte war. Auf der Rhede von Kopenhagen, wo die Brigg vom 26. Bis zum 30. November ankerte, ließ der Schiffer vergeblich nach dieser Leckstelle suchen, und nachdem er das Schiff mit Sägespänen hatte füttern lassen, setzte er seine Reise fort. Die Brigg machte dann auch anfangs nur wenig Wasser und konnte mit den beiden Pumpen, von denen die eine durch eine Windmühle getrieben wurde, ohne Mühe lenz gehalten werden.

      Um 2. December ward Skagen passirt und am folgenden Tage erreichte man die Nordsee. Der Wind war bis zum 11. December fortwährend südwestlich und sturmartig, so daß die Brigg furchtbar arbeitete. Die Pumpen mußten fast ununterbrochen im Gange bleiben, hielten aber das Schiff lenz. Am 11. December ging das Schiff östlich und blieb einige Tage lang so, bis am 17. ein harter Sturm aus SW einsetzte, welcher am Nachmittag des 18. zum Orkan aus WzN anwuchs. Schwere Seen brachen über die Brigg hin, welche derartig arbeitete, daß sich die Ladung im Raume löste und von einer Seite zur anderen hinüberging. Abends 7 Uhr desselben Tages brach die Stagsegelschoot, weshalb das Stagsegel festgemacht werden mußte, und gleich darauf traf eine gewaltige See das Heck an Steuerbordseite, so daß dort ein Leck entstand.

      Es gelang zwar dem Zimmermann, dieses Leck einigermaßen zu stopfen, aber in der Nacht zum 19. December nahm das Wasser im Raume in dem Maße zu, daß es bald eine Höhe von 5 bis 6 Fuß erreichte. Mit vieler Mühe brachte man nun die Brigg vor den Wind und pumpte dann energisch weiter. Es wollte aber nicht gelingen, das Schiff wieder lenz zu bekommen. In einem Schiffsrath ward daher beschlossen, nach Cuxhaven abzuhalten. Abends 8 Uhr ließ der Schiffer noch das Großuntermarssegel und das doppelt gereffte Obermarssegel setzen und am 20. December Nachmittags lief die Brigg glücklich in Cuxhaven ein.

      Dort wurde die Ladung gelöscht und das Schiff von einer aus obrigkeitlich angestellten und beeidigten Sachverständigen bestehenden Commission genau besichtigt. Nach dem Befunde der letzteren hatte sich dasselbe in seinem ganzen Verbande stark begeben, fast alle Bolzen hatten sich gelöst, die Deckplanken waren theilweise von den Balken abgewichen, beide Deckbalken bei der Großluke gebrochen. Das schon vor 1877 eingebrochene und mit eisernen Schienen verstärkte Kielschwein hatte sich gekrümmt und war so ein Rücken von vier Zoll Höhe entstanden. Alle Nähte hatten nachgegeben und an Steuerbordseite hatten sich die Planken theilweise gelöst. Zwei Bugbänder im Raume und ebenso die inneren Heckplanken befanden sich in verrottetem Zustande. Die Besichtigungs-Commission taxirte die alten Schäden auf 2.259 M 70 , die neuen mit Einschluß derjenigen an Segeln und Tauwerk auf 10.982 M 20 und den Werth des Schiffes bei Antritt der Reise auf 11.000 M. Sie erklärte demnach das letztere auf Grund des Artikels 444 des Handelsgesetzbuches für reparaturunwürdig und ward sodann durch Beschluß des Amtsgerichts zu Ritzebüttel vom 27. Januar 1882 die Brigg condemnirt. Aus dem meistbietenden Verkaufe derselben und des Inventars sind im ganzen 2.450 M aufgekommen.


  2. Unter Zugrundelegung des vorstehenden Thatbestandes hat nun das Seeamt


    1. als nächste Ursache des vorliegenden Unfalles das stürmische Wetter und den hohen Seegang sowie das durch beide herbei geführte Arbeiten der Ladung im Raume und als entferntere, nur mitwirkende das verhältnismäßig hohe Alter der Brigg bezeichnen zu sollen geglaubt. Der Befund der Besichtigungs-Commision zu Cuxhaven läßt kaum einen Zweifel darüber, daß die von letzterer festgestellten Schäden nicht auf eine etwaige Erweiterung des schon vor Kopenhagen bemerkten kleinen Leckes zurückzuführen sind, sondern durch andere, das ganze Schiff in Anspruch nehmende Umstände entstanden sein müssen, und als solche Umstände bieten sich zunächst das heftige Arbeiten der Brigg in Folge von Sturm und hoher See, sowie das Hin- und Herbewegen der schweren Ladung im Raume dar, Umstände, welche das in Cuxhaven constatirte Begeben des Schiffes in fast allen seinen Theilen vollkommen erklären. Aber wäre die Brigg noch jünger, in ihrem gesammten Verbande noch fester und somit besser im Stande gewesen, den Angriffen der See zu widerstehen, so würden diese Umstände derselben wahrscheinlich nicht oder doch nicht in dem gleichen Maße verderblich geworden sein, und hat daher das Seeamt auch deren Alter von bereits 40 Jahren wenigstens als mitwirkende Ursache betrachten müssen.


    2. Wie der Befund der BesichtigungsCommission in Cuxhaven weiter ergiebt, befand sich die Brigg schon bei Antritt ihrer letzten Reise nicht mehr in völlig seetüchtigem Zustande. Denn schon damals waren zwei Bugbänder und die inneren Heckplanken verrottet und das Kielschwein eingebrochen. Da jedoch das letztere durch eiserne Schienen verstärkt worden und diese Reparatur bei Classificirung des Schiffes im Jahre 1877 dem Experten des Germanischen Lloyd als genügend erschienen war, die schlechte Beschaffenheit der Bugbänder und Heckplanken aber dem Schiffer, als er aus Riga fortging, noch nicht bekannt gewesen ist, so erscheint die Versicherung desselben, daß er sein Schiff bei Beginn der Reise noch für seetüchtig gehaltenhabe, glaubhaft und kann ihn daher die Thatsache, daß die Brigg in Wirklichkeit damals nicht mehr vollkommen seetüchtig war, nicht zur Schuld angerechnet werden.


    3. Der Schiffer setzte von Kopenhagen aus seine Reise fort, obwohl er das gleich anfangs entstandene Leck, nach welchem er dort suchte, nicht hatte auffinden können. Es kommt demnach in Frage, ob nicht derselbe, ehe er die Reise fortsetzte, das Schiff hätte entlöschen und repariren müssen und ob er es nicht, indem er solches unterliess, an der ihm obliegenden Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers hat fehlen lassen. Diese Frage war zu verneinen. Denn das Leck hatte damals noch keine irgend bedenklichen Dimensionen angenommen und der Schiffer durfte hoffen, daß er trotz desselben seine ohnehin nur kurze Reise glücklich vollenden werde. Das gedachte Leck war dann auch nach der Fütterung des Schiffes mit Sägespänen fast ganz verschwunden und das sich dem nächst im Raume ansammelnde Wasser, welches die Besatzung zum Aufsuchen eines Nothhafens zwang, ist, wie schon oben dargethan worden, auf denselben nicht zurückzuführen.


    4. Die Journalführung an Bord der „Adolphine“ entspricht den gesetzlichen Vorschriften und hat dem Seeamt zu keinen Ausstellungen Anlaß gegeben.



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